Wo hört eigentlich altmodisch auf und fängt Retro an?

Schnitt & Stoff.

Meine erste Version des Schnittes habe ich vor drei Jahren, auch beim MMM gezeigt. Trotz Eurer aufmunternden Kommentare sind Top #110 Burda 10/2015 und ich keine Freunde geworden. Zu sehr haben mich der zu kurze Reißverschluss (mein Fehler!) und die tiefen Armlöcher gestört. Hinzu kamen ein paar widerspenstige Belege, die einfach nicht an Ort und Stelle bleiben wollten. Wenn mich irgendetwas an einem Kleidungsstück nervt, dann das…

Andererseits haben mich der hohe Wasserfall, der V-Ausschnitt im Rücken und die aufspringenden Falten im Vorderteil nicht losgelassen. Also habe ich den Schnitt mit in den Nähkurs genommen und dort eine zweite, überarbeitete Version aus Baumwolle (ca. 80 cm) genäht. Den Stoff werdet Ihr noch öfters zu sehen bekommen: Ich habe mir am Ufer den Rest der Rolle (etwas mehr als 5 m) aufschwatzen lassen; es war zwischen den Lockdowns, die Geschäfte liefen schlecht, die Händler taten mir leid, Qualität und Preis stimmten… Falls Ihr Ideen für den Stoff habt, immer her damit, ich freue mich darüber.

Größe, Anpassungen & Passform

Wieder Gr. 40. Dieses Mal hatte ich auch den passenden Reißverschluss auf Lager (40 cm!) und muss mich beim An- und Ausziehen nicht Verrenken. Den Armausschnitt habe ich unter den Achseln angehoben. Ich mag tiefe Armlöcher nicht; man sieht sie meistens bei Schnitten, die für Ärmel konstruiert worden sind, aber auch als Top angeboten werden. Ebenso wenig bin ich ein Freund von halben Sachen: Entweder das Schultergelenk liegt frei oder ist vollständig bedeckt, weshalb ich die Schulterlinie verlängert  und auf Empfehlung der Schneiderin am äußeren Schulterpunkt etwas angehoben habe.

Und wenn man schon mal dabei ist: Ich stehe ja auf Arm- und Halslochbeleg aus einem Stück (wie z. B. hier). Das geht zwar bei diesem Schnitt nicht, weil der V-Ausschnitt im Rücken verblendet und vorne der Wasserfall ist. Doch habe ich im Rücken Arm- und Halslochbeleg zusammengefasst und an die Blende genäht. Das hört sich verbastelt an, aber die Belege bleiben drinnen.

Anleitung & Schwierigkeitsgrad

Die Anleitung zu dem Top findet sich im „Glossar”, weshalb sie ausführlicher als sonst bei der Burda ist. Der Schnitt ist einfach zu nähen, ohne dabei langweilig zu sein. Das einzige, was Kopfzerbrechen bereiten könnte: Die rückwärtige Blende ist angeschnitten und zwar ans Vorderteil; es sind aber genau solche Details, die den Schnitt in meinen Augen interessant machen…

Was gefällt? Was nicht? Nochmals nähen? Weiterempfehlen?

Der Aufwand, Zeit und Geld in die Schnittanpassung zu stecken, hat sich für mich gelohnt; ich mag das Ergebnis sehr (neben dem Lerneffekt) und kann den Schnitt mit Einschränkungen (Stichwort tiefe Armlöcher. BRRR) empfehlen. Allerdings darf man sich nicht sonderlich um Trends kümmern, denn ohne überschnittene oder Statement-Ärmel, Volants oder Rüschen und alles andere als Oversize ist der Schnitt nicht gerade am Puls der Zeit. Aber das ist ja das Schöne am Selbermachen. Man muss nicht jede Mode mitmachen, und überhaupt 😉

Nichts ist so gefährlich wie das Allzumodernsein. Man gerät in Gefahr, plötzlich aus der Mode zu kommen.

Oscar Wilde
Kurz zur Hose

Vanløse von How To Do Fashion, gekürzt auf 7/8 Länge – inzwischen mein Standardschnitt für weite Sommerhosen. Er erinnert ein wenig an die „Strand-Pyjamas“, mit denen die Damen in den frühen 1930er Jahren gern auf der Promenade flanierten. Genäht aus nachtblauer Viskose (von Idee) mit einem Elastan-Anteil von 3 %, was Fluch und Segen zugleich ist. In meiner ersten Version kann ich nicht den ganzen Tag sitzen, die Hose ist taillenhoch geschnitten und drückt irgendwann am Bauch. Das Elastan löst das Problem, allerdings wird die Hose nun über die Zeit beim Tragen weiter, sehr viel weiter… Formstabilität geht anders, mal abgesen, dass Elastan aus ökologischer Sicht nicht gerade unproblematisch ist. Ich sag’s Euch: Irgendetwas ist immer.

Und damit gebe ich ab zum MMM, wo Leute ihre Vorstellungen von Mode teilen, abseits dessen, was gerade en vogue ist…

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20 Kommentare

  1. Wie gut, dass du deinen Nähkurs mit Maßschneiderin hast, da beneide ich dich darum. Allein zu Hause sind die Feinheiten der perfekten Anpassung ja oft nicht so einfach zu finden und umzusetzen.
    Altmodisch oder retro? Egal. Jedenfalls, sorgt dein schönes Outfit zwischen den ganzen Rüschen und Statement-Ärmeln für etwas Abwechslung.
    Liebe Grüße Christiane

    • Manuela

      Du sagst es! Vieles kann man heutzutage allein via Internet oder etwas altmodischer aus Büchern lernen. Bei Schnittanpassung finde ich das auch schwer. Ich besitze fünf Fitting-Bücher, in denen ich jederzeit nachschlagen kann, und habe trotzdem Schnitte zu Hause schon mit viel Aufwand verschlimmbessert.
      Dank Dir & liebe Grüße
      Manuela

  2. Du sagst es; irgendeine Kleinigkeit gibt es immer, die einen am Selbstgenähten nicht perfekt vorkommt oder gelingt, aber das ist der Anspruch der Hobbynäherin an sich selbst und von Außenstehenden nicht erkennbar.
    Sehrsehr hübsch, deine Kombination und was ist heute schon up to date?
    Was gerade noch gehypt wurde, ist morgen nicht mehr angesagt und letztlich kann man heutzutage anziehen, was immer einem gefällt, ohne dass die Leute einen merkwürdig mustern.
    Meine Idee für deinen bevorrateten Stoff wäre ein weit schwingender Maxirock oder ein Jumpsuit.
    Herzliche Grüße von Susanne

    • Manuela

      Das heutzutage im Großen und Ganzen jeder tragen kann, was er will, empfinde ich als Demokratisierung, dass der soziale Status von Leuten nicht unbedingt mehr an der Klamotte erkennbar ist…
      An einen barocken Maxirock hatte ich auch schon gedacht…
      Herzlichen Dank & liebe Grüße
      Manuela

  3. Ich finde die Kombi schön, außerdem hab ich den Eindruck, dass die Mode sich inzischen so schnell “dreht”, dass es eigentlich jederzeit möglich ist, alles zu tragen. Was heute “von gestern” ist, ist auch gleichzeitig schon wieder der Trend von morgen – also, einfach nichts drauf geben. Das Problem Elasthan versus bequem kenne ich, hab leider auch keine Lösung bisher.

    • Manuela

      Dankeschön.
      Ja, dem “Modekarussell”, wie wahrschleinlich vielen Dingen heutzutage, würde eine Entschleunigung gut tun…
      Ganz wird man Elastan wohl nicht aus dem Kleiderschrank verbannen können, spätestens bei Badesachen würde ich persönlich nicht darauf verzichten wollen. Bei den hohen Leibhöhen, wie man sie gerade überall sieht, würde ich es beim nächsten Mal erstmal mit einer größeren Bewegungszugabe in der Taille und oberen Hüfte versuchen.
      Liebe Grüße Manuela

  4. zu deiner frage: da, wo man es ganz selbstbewusst definiert 😀
    ich persönlich gehe mit oscar wilde (ein grosser dandy!) und ziehe guten stil vor – “modern” im sinne von “massengeschmack” (laut duden) hat mich noch nie interessiert…….

    dein anzug ist auf jeden fall guter stil!!
    sommerlich elegant, mit verschiedenen accessoires für alle möglichen gelegenheiten tauglich – neudeutsch: up- oder down-ge-dressed.

    @top: die “belegung” hast du prima gelöst und die überschnittenen ärmel machen eine beeindruckende taille. den stoff finde ich herrlich oppulent ohne kitschig zu sein…. neben den üblichen verdächtigen etuikleid & tulpenrock würde mir eine hose einfallen oder ein ungefütterter mantel im stil der späten 50s – grade geschnitten, 3/4 ärmel und wenige, aber spektakuläre knöpfe.
    @hose: moderne hosenschnitte und sehgewohnheiten (knackarsch) kommen nicht ohne stretch/plastik aus. denn wenn man genau auf fotos aus den 30ern guckt, sieht man, dass die hose NUR in der taille sitzt (bei männern & frauen). der rest schlabbert mehr oder weniger rum und der schritt hängt auf höhe des halben oberschenkels. da klemmt dann auch nix beim sitzen.
    von einem hintern ist auch bei rückansichten nicht wirklich was zu sehen.
    ich hab mal einen breeches-schnitt aus einer 30s-zeitschrift kopiert – halleluja – bodenlose lodenhose* (*otto).
    fröhliches nähen! xxxxx

    • Manuela

      Herzlichen Dank!
      @hose: Ich würde ergänzen wollen, dass es nicht nur Seh-, sondern auch Tragegewohnheiten sind. Ich bin bspw. mit Hüfthosen “modisch sozialisiert” worden und zu viel Halt am Bauch nicht gewohnt. In einem älteren Nähbuch habe ich mal gelesen, dass in der Taille eine Bequemlichkeitszugabe von 2 cm durchaus ausreichend ist. Du, nach einem halben Arbeitstag am Schreibtisch darin, wäre ich bereit zu töten…
      @stoff: Ich hatte kurz mal Qipao überlegt, geht ja in Richtung Etuikleid…mmh, aber ein schmaler, geradliniger Sommermantel klingt auch interessant… Danke.
      @mode vs. stil: Das gebe sicherlich Stoff für eine abendfüllende Diskussion! Ich kann den Wunsch nach Zeitlosigkeit, für den Stil häufig steht, nachvollziehen, aber um mal eine Lanze für die Vergänglichkeit der Mode zu brechen. Nimm bspw. Coco Chanel, von der es ähnliche Bonmots wie von Wilde gegen die Mode gibt (z. B. einer meiner Lieblinge: „Ich bin gegen Mode, die vergänglich ist. Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kleider wegwirft, nur weil Frühling ist.“). In einem späten Interview 1969 mit Micheline Sandrel wirkt sie wie eine altmodische Schachtel, die die Welt um sich herum nicht mehr versteht, wenn sie gegen die Vulgarität der jungen Frauen wettert, die Hosen und kurze Röcke (kniefrei!) tragen. Hier ist sie echt zur Stilikone erstarrt und wirkt grotesk aus der Zeit gefallen. Das Vergängliche der Mode bedeutet eben auch Lebendigkeit. Hier die englische Transkription des Interviews, falls es Dich interessiert:
      https://fashionabecedaire.tumblr.com/post/16695026717/interview-translation-coco-chanel-on-fame
      Aber im Grunde sind wir, denke ich, gar nicht so weit auseinander: Ich mag auch keine Schnelllebigkeit und plädiere auch für mehr ästhetische Nachhaltigkeit.
      Liebe Grüße Manuela

  5. So win hübsches Outfit! Der Blusenschnitt ist wirklich was besonderes und gefällt mir sehr gut, ich finde auch dass sich die Anpassungen gelohnt haben. Die Hose passt sehr gut dazu. Ich bin froh, dass du nicht modisch gekleidet bist .
    Liebe Grüße
    Katharina

    • Manuela

      Ach wie charmant, dank Dir Katharina!
      Sicherlich springe ich nicht auf jeden Trend auf, aber natürlich kann auch ich mich Moden nicht gänzlich entziehen… Ich finde, das ist ein wenig wie mit dem Schweigen, selbst wenn man nichts sagt, drückt man damit etwas aus.
      Viele, liebe Grüße Manuela

  6. Ich habe eigentlich überhaupt keine Ahnung was jeweils modisch angesagt ist… Ich bin sehr Froh, dass du auch nach dem Lustprinzip nähst… Das Top gefällt mir sososo gut! Und der Stoff auch, ich freue mich auf die weiteren Teile, die daraus entstehen werden. Bei der menge musst du ja eigentlich noch ein Kleid davon nähen… 😉 LG Sarah

    • Manuela

      Dankschön Sarah.
      Ja, die Stoffmenge schreit förmlich nach Kleid, ich hadere nur damit, weil ich befürchte, dass mich das Muster über die gesamte Körperlänge erschlägt…
      LG Manuela

  7. Interessant, daß sich die Burda nicht mal bei einem Top, das ohne Ärmel gedacht ist, die Mühe der Armlochanpassung macht…wie gut, daß wir das jetzt alle selbst können! Ich finde den Schnitt und Deine Umsetzung sehr schön, vor allem die rückwärtige Ansicht gefällt mir gut. Witzig, daß die Belege ans Vorderteil angeschnitten sind! Für das Hosenproblem habe ich auch noch keine endgültige Lösung. Dehnbare Stoffe sind natürlich bequemer am Bauch, aber völlig unberechenbar in den Trageeigenschaften, die meisten leiern aus. Ich glaube ja, wenn ein Hosenschnitt wirklich perfekt angepaßt wäre, so daß auch der Bauch Platz hat, dann könnte auch eine Hose aus nicht-dehnbaren Stoffen bequem sein. Aber daran arbeite ich auch noch, das ist mehr Wunschdenken…
    Liebe Grüße,
    Barbara

    • Manuela

      Diesen Wunsch teile ich, wie leider auch die leidige Erfahrung, dass die meisten Stoffe mit Elastan nicht formbeständig sind… Ich würde vorschlagen: Wir bleiben dran!
      Ja, es war für mich schon eine Enttäuschung, dass eine Zeitschrift wie Burda hier spart…
      Herzlichen Dank & liebe Grüße
      Manuela

  8. Deine Bluse gefällt mir richtig gut. Schnörkellos ist immer meins. Bislang mochte ich Wasserfallkragen ja nicht so gerne, aber vielleicht überlege ich mir das ja noch mal. Ich finde Deine Lösung mit den Belegen echt genial, herauskrabbelnde Belege sind mir ein Gräuel. Zu weite Ärmel bei Tops übrigens auch!
    Wenn Dich beim Elasthan in der Hose nur stört, dass sie von einer Taillen- zu einer Hüfthose mutiert, habe ich einen Tipp: Ich nähe inzwischen bei Röcken ein breites Gummi auf die Nahtzugabe der Oberkante, das dann unter dem Besatz verschwindet, bei Hosen dürfte das genauso gehen. Und dann gibt es ja immer noch die Möglichkeit von Gürtelschlaufen.
    Bei Leuten, die sich immer nach der letzten Mode kleiden habe ich den Verdacht, dass sie manchmal keinen eigenen Stil entwickelt haben oder nicht genug Selbstbewustsein, den eigenen Geschmack auch anzuziehen. Wenn man aussieht wie alle, ist man natürlich weniger angreifbar. Ehrlich gesagt habe ich ohnehin keine Ahnung, was gerade Mode ist. Wenn ich die Burda aufschlage, denke ich immer: Geht sowieso alles, und der Rest ist eben mein eigener Stil.
    Liebe Grüße, Stefanie

    • Manuela

      Schön von Dir zu hören.
      Ja, das fasst das Problem perfekt zusammen! Aus der Taillen- wird eine Hüfthose, die insofern der Schritt dann tiefer hängt zu leichten baggy pants mutiert… Gürtelschlaufen passen hier m. E. nicht, bzw. die Hose ist ohne Bund und mir gefällt sie gerade wegen der cleanen Optik, aber das mit dem Gummiband probiere ich bei Gelegenheit mal aus.
      Dank Dir & viele liebe Grüße
      Manuela

  9. Regina

    Sehr schöne Kombination, steht dir ausgezeichnet! Wenn du soviel von dem geblümten Stoff hast, kannst du ja jetzt noch ein Rüschenkleid machen. Wenn es mir nicht ein bisschen zu simpel wäre und ich nicht neuen Stoff dafür kaufen müsste, hätte ich wohl auch schon eins, denn schön finde ich es durchaus auch. Gute Schneiderkunst ist nicht zu verachten und ja dann auch kein Wunder, dass uns das reizt, nicht? Du hast deine Garderobe jedenfalls gut hinbekommen. Viele Grüße Regina (Mache gerade eine ausgiebige Sommerpause blogtechnisch, nähe aber noch!)

    • Manuela

      Dankeschön Regina.
      Mit der Sommerpause, was das Bloggen betrifft, scheinst Du nicht die Einzige zu sein… Viel ist ja momentan nicht los auf den Nähblogs.
      Ich wünsche Dir einen schönen Sommer und hoffe auf ein Wiedersehen im Herbst, dass Du dann vielleicht ein paar der neu entstandenden Sachen zeigst.
      Liebe Grüße Manuela

  10. Cornelia Schmidt

    Hallo,
    ich mag auch alles,was authentisch aus den Siebzigern ist,und ich nähe das auch so(z.B. aufgesetzte Hosentaschen vorn oder Flechtelemente an der Jeans.
    Als schwierig empfinde ich das nicht,und diese Schnittmusterheftchen sind für mich sowieso völlig nutzlos-was macht man denn,wenn man mehr als Größe 44 hat?
    Liebe Grüße Conny

    • Manuela

      Da hast Du recht; viele Indie-Designer versuchen ja sich daher durch ein breiteres Größensprektrum gegenüber Burda&Co. zu profilieren.
      Danke für Deinen Kommentar. Es freut mich immer sehr, wenn alte Posts wieder gelesen werden.
      Liebe Grüße Manuela

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