#Unter der Nadel

Gedankenschnipsel zur Hosenanpassung für H.

Ich habe immer gern Posts gelesen, in denen man jemand über die Schulter schauen darf und erfährt, was sie oder ihn bei ihren Projekten beschäftigt. Vielleicht mag ich auch deshalb Sew Alongs (auch wenn ich mich jedes Mal mit dem Zeitplan schwertue). Man teilt nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Prozess miteinander. Derartige Beiträge sind selten geworden… Warum, darüber möchte ich hier gar nicht spekulieren, sondern gemäß der goldenen Regel, tue selbst, was Du Dir von anderen wünschst, so einen Post schreiben.

Zur Abwechslung habe ich mal wieder eine Hose unter der Nadel. H. auch. Ich sag’s Euch: Wenn der Partner denselben Zeitvertreib für sich entdeckt, ist das Fluch und Segen zugleich. Ganz unschuldig bin ich daran nicht, habe ich ihn doch Anfang des Jahres zu einem VHS-Kurs geschleift, in dem eine Hose nach dem Schnittsystem der Bunka Fashion School konstruiert wurde. Hat riesig Spaß gemacht und mein Verständnis, wie ein Hosenschnitt funktioniert, verbessert, auch wenn ein japanischer Grundschnitt sicherlich nicht die beste Wahl für mich ist.

Während ich gerade entspanntes Slow Sewing praktiziere, sprich: klassische Schneiderei mit viel Handnähen, ist H. auf der Suche nach dem Heiligen Gral der perfekten Passform. In diesem Zusammenhang dachte ich, ich stelle mal ein paar Tipps zusammen, die mir in der Vergangenheit geholfen haben.

#dienstagsdetail

Die schlechten Nachrichten vorweg, mein Herz! Die perfekte Passform – es gibt sie nicht; und die Idee vom faltenfreien Kleidungsstück ist ziemlich Old School. Entweder brauchst Du für eine gutsitzende Hose verdammtes Glück oder musst Zeit in die Anpassung investieren (übrigens auch bei der Konstruktion!).

Tipp Nr. 1: das einbeinige Probemodell

Ein Aha-Erlebnis hatte ich bei der Top-Down-Center-Out-Methode von Ruth Collins: Ihre Methode zur Hosenanpassung ging viral und wurde als revolutionär gefeiert, nachdem ihr Artikel dazu im Threads-Magazin (2022) erschienen war. Auch wenn Revolution nicht gerade der erste Begriff ist, der mir bei Schnittanpassung einfällt, so finde ich doch einiges an der Top-Down-Center-Out-Methode sympathisch.

Als erstes die Erfinderin selbst (hier z. B. im Interview). Ruth ist Hobbyschneiderin, d. h. sie kennt deren Bedürfnisse, z. B. dass oft niemand beim Abstecken zur Hand ist wie in einem professionellen Atelier. Zudem ist sie Autodidaktin im Internetzeitalter; wie viele von uns verdankt sie ihr Wissen und Können der Hilfsbereitschaft und dem Austausch mit der Community. Nicht zuletzt hat Ruth angefangen zu nähen, wie ebenfalls viele von uns, um die Kontrolle, wenigstens über einen Teil der Lieferkette zurückzuerlangen. Das ist aktueller denn je, ging doch gerade durch die Presse: Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Luxusmarken wie Dior und Armani, weil sie gegen Arbeits- und Verbraucherschutz verstoßen haben sollen.

Der etwas sperrige Name der Methode, #TopDownCenterOut gibt die Reihenfolge an, in der angepasst wird: Als erstes und wichtigstes der Bund, dann die Schrittkurve, die Innenbeinnaht, zuletzt die Seitennaht. Die Anpassungen werden im Stoff – durch Abstecken am Probemodell an sich selbst vorgenommen und dann auf den Schnitt (rück-)übertragen. Das Besondere: Das Probemodell hat bis auf den Bund nur ein Hosenbein.

Mein Probemodell für die obige Hose aus Bettwäsche

#TopDownCenterOut geht nicht von der Konstruktion aus, sondern die Methode basiert auf dem Zusammenspiel von Körper, Bewegung und Stoff. Es gibt keine spezifischen Anpassungen einzelner Köperpartien (wie z. B. Full Seat Adjustment), die von einem vermeintlichen Ideal abweichen. Man vergleicht seinen Körper nicht mit Standardmaßen, nachdem man sich einmal für eine Größe entschieden hat. Meiner Meinung nach ist das auch der Grund für den Erfolg von #TopDownCenterOut, sie fördert Body Positivity.

Wenn Du einen Deiner Schnitte mit der Methode anpassen willst, kann ich Dir die Erklärungen von Stacey (The Crooked Hem) dazu empfehlen; und einen Erfahrungsbericht findest Du bei Barbara (Maria-Barbara), die auch eine Hose damit angepasst hat.

Ehrlich gesagt, das Zuppeln vorm Spiegel war nichts für mich, ich nehme Änderungen gern direkt am Schnitt vor. Was ich aber für mich mitgenommen und seitdem beibehalten habe, ist das einbeinige Probemodell: Man spart Zeit und v.a. Stoff! Probleme in der Schrittkurve lassen sich m. E. sogar besser identifizieren. Persönlicher Fun Fact: #TDCO ist nicht gerade Insta-tauglich.

Das war’s fürs Erste. Gerade bereue ich, nicht mit Euch mitgegangen zu sein. Es ist ein so schöner Sommerabend. Na, ja dafür gibt es nun einen neuen Post…

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen informativen Blick über Deine Schulter. Mit der Anpassungsmethode habe ich mich noch nicht auseinander gesetzt, aber seit mein Basis-Hosenschnitt nicht mehr passt, muss ich mich um einen neuen kümmern.
    Ich erinnere mich an den Beitrag von Barbara, damals war mir diese Anpassung etwas zu kompliziert vorgekommen. Ich will mich im Herbst, d.h. wenn es etwas kälter ist, an der Helene-Jeans abarbeiten, vielleicht sollte ich sie mal mit dieser Methode anpassen. Erstmal ist das Kleidchen, das ich vor Wien angefangen habe, auf dem Programm, noch ist es ja warm genug, um es nochmal zu tragen.
    Liebe Grüße, Stefanie

    • Liebe Stefanie, herzlichen Dank! Der erste Kommentar berührt mich oft am meisten, erzeugt er doch das wohlige Gefühl, hier nicht im luftleeren Raum unterwegs zu sein…
      Ich denke #TDCO ist etwas für Leute, die eher intuitiv und mittels Versuch und Irrtum direkt am Körper und im Stoff anpassen. Kurzum, nichts für mich.
      Was ich aber wirklich klasse finde und für mich mitgenommen habe, ist das einbeinige Probemodell.
      Vielleicht magst Du ja über Deine Helene-Anpassungen im Herbst schreiben? Doch erst einmal viel Freude bei Deinem Kleid.
      Liebe Grüße Manuela

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