raus

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an Dia-Abende, jene soziale Praxis des Teilens von Erlebnissen und Fotos aus dem letzten Jahrhundert. Man lud Familie oder Freunde ein und projizierte die letzte Reise an die Wand. An dieser Selbstvergewisserung und -darstellung hatte meistens der Vortragende selbst die größte Freude…

Diese Praxis nimmt sich vergleichsweise bescheiden aus – wirkt im Rückblick fast schon romantisch angesichts der Bilderflut, die uns heute täglich überschwemmt.

Derlei geht mir durch den Kopf, als ich Urlaubsbilder für den Monatsspaziergang bei Heike (3hefecit) heraussuche. – Vielleicht befeuert durch das EMOP-Festival (European Month of Photography), den Europäischen Monat der Fotografie, der gerade in Berlin stattfindet. Titel der zentralen Ausstellung: Was zwischen uns steht.

Die Kamera. Sowohl zwischen uns als auch uns und der Wirklichkeit.

Das Festival fragt, welchen dokumentarischen Wert die Fotografie noch hat angesichts der Allgegenwart fotografischer Bilder. Wenn wir uns inzwischen alle mehr oder weniger als Chronisten unseres Alltags und unserer Befindlichkeiten betätigen und unsere Bilder unentwegt im Internet teilen, vorzugsweise in den Sozialen Medien.

Um ein Gefühl für die Dimensionen zu vermitteln: Wenn Ihr das Bild stark vergrößert, sind links in der Flanke ein paar Leute im Aufstieg zu erkennen.

Aber ist das noch so? Hat sich das Soziale nicht längst aus den sozialen Medien verabschiedet?

Da spreche ich noch nicht mal von Hassbotschaften, Empörungsgemeinschaften u.ä. Auswüchsen. Sondern meine die Müdigkeit und den Überdruss, der wenigstens in meiner Blase um sich greift. Das endlose Scrollen durch Timeline und Newsfeeds fühlt sich wie der Genuss von Junk-Food an. Ich kenne immer weniger Leute, die Privates in den sozialen Medien teilen, sondern Instagram & Co. nur mehr im professionellen Kontext nutzen.

In den Nullerjahren angetreten, um Menschen die Möglichkeit zu geben, sich über Grenzen hinweg zu vernetzen, verwandeln sich die sozialen Medien zunehmend in reine Entertainment- und Werbeplattformen. Oder wie eine junge Kollegin meines Partners neulich meinte: “Das glauben doch wirklich nur noch irgendwelche Boomer, dass dort ein Mensch ist, während sich die Bots wechselseitig applaudieren und beleidigen.”

Wie vor ein paar Jahren bei den Blogs mehren sich die Anzeichen, dass sich die sozialen Medien überleben bzw. sich die Leute andere Orte suchen, um sich auszutauschen. Vielleicht erleben wir eine Renaissance der Blogs? Oder eine Rückbesinnung auf die reale Welt und die Leute in unserem Umfeld. Letztens habe ich in einer Zeitschrift gelesen: “Präsenz ist das neue Bio”.

Und wo sind nun die Fotos aufgenommen? Anfang März haben wir uns zum Wandern in die Hohen Tauern, Österreichs ältestem Nationalpark zurückgezogen und uns ganz dem Moment überlassen. War nicht schwer in dieser Landschaft und ohne Empfang.

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4 Kommentare

  1. Bei den Diaabenden dachten wir schon, das ist eine Bilderflut. Dabei war man ja beschränkt auf die Anzahl an Filmen, die man dabei hatte. Der Beste etwa 10 Diafilme, ich etwa 10 Schwarz-Weiß-Filme, für 4-5 Wochen Urlaub in zumeist Asien. Und die Dias wurden dann auch nochmal aussortiert, etwa 100-150 Bilder blieben übrig. Und es gab immer selbstgekochtes, zum jeweiligen Land passendes Menü, als Belohnung quasi für das Aushalten und Schauen 😉
    Mit der digitalen Fotografie fiel dann die Beschränkung, und man knipste fröhlich drauflos. Und wühlt sich nach dem Urlaub durch Tausende von Fotos. Ich habe festgestellt, dass sich mein Fotoverhalten sehr verändert hat. Und seit ich beim Monatsspaziergang teilnehme, fotografiere ich nicht nur Urlaub, sondern auch Alltagsumgebung. Nehme meine Umgebung anders wahr. Aber merke auch, dass ich wieder zurück möchte, hin zu weniger Fotos, die dafür überlegter. Und vielleicht auch wieder mehr Fokus auf fotografieren, statt knipsen 😉
    Deine Gedanken gehen allerdings noch weiter, das Thema Soziale Medien ist ja nochmal ein ganz anderes, großes. Ich für mich habe mir das Bloggen lange, sehr lange, überlegt (will ich so präsent sein?) und bin erst sehr spät eingestiegen. Als viele bereits zu schnellerer Kost abgewandert waren. Meine Entscheidung für das langsamere, inhaltlich meist intensivere Medium Blog und gegen die schnellen Sozialen Medien war eine bewusste. Und wenn ein Blog fast nur noch aus Kooperationen und Werbung besteht, und sonst kein Inhalt, bin ich auch schnell wieder weg.
    Bei dir zum Beispiel lese ich sehr gerne, denn deine Texte fordern mich meist auch intellektuell. Ein gutes Beispiel ist dieser Text zum Monatsspaziergang. Zum Nachdenken anregender Text und wunderbare Fotos, ich freue mich sehr, dass du wieder teilgenommen hast!
    Auch wenn der Frühling bereits mit aller Macht herandrängt, ist es doch schön, überhaupt mal Schnee zu sehen. War er doch in diesem Winter zumindest in Graz so gut wie gar nicht vorhanden. Dieses kleine Stück weiter südlich der Hohen Tauern und natürlich meereshöhenmäßig auch tiefer macht sich ziemlich bemerkbar. Und diese unberührten Schneefelder in hohen Lagen, die werde ich als Wintersportmuffel vermutlich nie so zu sehen bekommen. Umso schöner, dich über den Monatsspaziergang begleiten zu können.
    Solltet ihr mal mehr Zeit um euren Winterurlaub herum haben, oder auch abseits davon einem Besuch in Graz nicht abgeneigt sein, melde dich.
    Jetzt bin ich gespannt auf den nächsten Monatsspaziergang 🙂
    Liebe Grüße, heike

    • Manuela

      Ein selbstgekochtes, zum jeweiligen Land passendes Menü klingt wiederum sehr attraktiv…
      Die digitale Fotografie hat das Fotografieren weiter demokratisiert; mit der richtigen Technik kann heute jede/r ein gutes Foto machen…. Meine fotografische Praxis hat sich auch stark verändert: Phasenweise verhalf mir der Blick durch die Kamera zu mehr Achtsamkeit, Triviales und Banales mit mehr Intensität wahrzunehmen (z. B. auch durch Aktionen wie 12 von 12). Irgendetwas veränderte sich aber: Ich musste mir eingestehen, dass ich meinen Alltag zunehmend auf seine “Bildwürdigkeit” (“Instagrammability”) hin befragt habe, und habe es deshalb wieder gelassen….
      Die künstlerische Leitung des EMOP-Festival (Maren Lübbke-Tidow) hat eine Frage in den Raum geworfen, die mich sehr berührt hat, ob Walter Benjamins Satz, “dass nichts, was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist”, heute noch gelte. Für die Alpen, in denen man den Gletschern beim Schmelzen zuschauen kann, kann ich mich nicht mit dem Verlust abfinden. Ansonsten versuche ich vergängliche Augenblicke weniger mit der Kamera festhalten zu wollen…
      Neben Ljubljana ist Graz durch Deine Blogbeiträge schon auf meine Liste gewandert. Danke für das Angebot, ich melde mich gerne. Und natürlich auch herzlichen Dank für Deine Gedanken zu meinem Post.
      Liebe Grüße Manuela

  2. Liebe Manuela,
    Deine Bilder sind grandios und ich wünschte, ich könnte sie auf einer großen Leinwand anstelle eines popeligen 13-Zoll-Bildschirms sehen.
    Ich finde, durch die digitale Fotografie hat sich im Vergleich zum Dia auch die Sehgewohnheit geändert. Man reduziert das Bild auf das kleine Format und sieht mehr in kleinen Ausschnitten und nicht das große ganze, das eben im kleinen Format gar nicht richtig rüberkommt. Andersherum wird allerdings auch ein Schuh daraus: Als ich für meinen Mann vor vielen Jahren aus unseren Neuseeland-Dias einen Kalender machen wollte, hatte ich enorme Schwierigkeiten aus den 700 Bildern 12 zu finden, die in 40x60cm noch gut aussahen.
    Die digitale Fotografie verführt auch dazu, ein Bild nicht mehr so sorgfältig durchzukomponieren. Man kann ja schnell ein paar verschiedene Blickwinkel aufnehmen, sieht das Ergebnis auch sofort und kann danach noch ein paar Aufnahmen mehr machen. Das ist natürlich bei Aufnahmen von Menschen toll, sie agieren viel ungezwungener vor einer digitalen Kamera, und wenn man zum Beispiel Kinder fotografiert, kann man leichter “den perfekten Moment” erwischen. Wenn ich da an die analoge Zeit zurück denke… Filme und Abzüge waren ja auch so teuer. Mir hat mal eine Fotografin gesagt, dass man schon zufrieden sein kann, wenn bei einem 36er Film EINE gute Aufnahme dabei ist. Das konnte ich mir nicht leisten, also musste ich mir wirklich Zeit lassen und auf den perfekten Moment warten.
    Was ich momentan wirklich schwierig finde, ist die Verwendung von KI bei der Fotografie. Früher war ein Foto “echt”, auch wenn die Wahl des Ausschnittes schon damals die Wahrheit oft verschleiert hat. Aber heutzutage kannst Du keiner Abbildung mehr trauen. Die generierten Fotos sind so gut, dass man den Unterschied nicht mehr sieht. Bei Digitalen Bildern konnte man mit der Bildbearbeitung bereits jede Menge Realität verändern, aber KI hebt das Ganze auf ein völlig anderes Niveau.
    Was auf den Sozialen Medien los ist (zu denen Du die Blogs anscheinend nicht zählst), kann ich nicht beurteilen, weil ich mich von allen Meta-Produkten fernhalte und nur über Linkpartys mal auf einem Insta-Beitrag lande, aber man hört ja vielfach, dass dort gerade bei sehr prominenten Accounts sehr professionell gephotoshopped wird.(das klingt jetzt irgendwie echt alt und borniert, oder?)
    Egal, ich lese lieber Text statt Massen von Hashtags.
    Liebe Grüße, Stefanie

    • Manuela

      Ja, guter Punkt! Gehören Blogs zu den Sozialen Medien? Ich habe hier zwischen Blogs und Meta & Co. unterschieden. Ein Ausgangspunkt meiner Überlegungen war ein Artikel darüber, dass die Zeit wohl sinkt, die Leute auf Facebook, Instagram, LinkedIn usw. verbringen, wie auch ihr “Engagement”, sprich es wird weniger kommentiert. Aber eigentlich sind Blogs auch soziale Medien: sie sind digital, fördern den Austausch und die Vernetzung ihrer Nutzer:innen bis hin zur Organisation ganzer Gemeinschaften. Ich denke, ein Unterschied ist, Blog sind in ihrem “Lebenszyklus” weiter. Ich frage mich, ob den Netzwerken von Meta nun dasselbe droht, insofern die Einheit von Content & Connect wohl zunehmend zerbricht. Und nein, ich bin nicht traurig darüber…
      Liebe Stefanie, so viele spannende Punkte, die Du ansprichst… Vom heutigen Arbeitstag k.o., schaffe ich es gerade nicht, auf alle einzugehen. Ich freue mich, wenn wir das Gespräch an anderer Stelle weiterführen.
      Herzliche Grüße Manuela

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