Gesehen, gelesen…, die Ausstellung “DressUndress”

Wenn man über Bekleidung spricht, redet man unweigerlich auch über Körper: Wer darf was tragen? Auch wenn Bekleidungsvorschriften in dem Sinne nicht mehr existieren, zumindest nicht in unserer westlichen Welt, gibt es natürlich ungeschriebene Regeln, was man oder frau in welchem Alter, mit welchem BMI, zu welchem Anlass tragen sollten. Hält man diese ungeschriebenen Regeln nicht ein, sei es bewusst oder unbewusst, muss man mit komischen Blicken, Getuschel, Gelächter oder Kritik rechnen . Vergleichsweise harmlos, zu dem, was andernorts passiert. Wieviel vom Körper darf gezeigt werden? Was dürfen Männer und Frauen in der Öffentlichkeit tragen? Traurige Aktualität hat diese Frage im September mit dem Tod von Masha Amini gewonnen: Sie wurde von der Polizei festgenommen, weil sie gegen die islamische Kleiderordnung verstoßen haben soll, ihr Tod löste die aktuellen Proteste gegen das Regime im Iran aus.

Bekleidung reglementiert und reflektiert also gesellschaftliche Erwartungen an Körper, wie sie auch davon emanzipieren kann. Der Art und Weise, wie sie das tut, geht die Ausstellung DressUndress. To Conceal or to Reveal? nach, die noch bis zum 20. November 2022 im Modemuseum in Hasselt zu sehen ist. Kuratiert wurde sie von der Lingerie-Designerin Murielle Scherre. Um es vorwegzunehmen, der Schlüssel dazu ist der Kontext: Was an einem Ort und in einer Zeit als tragbar gilt, ist es zu anderen Zeiten und an anderen Orten nicht.

[Wer sich jetzt fragt, wo ist Hasselt? In Belgien. Vielleicht erinnern sich der eine oder andere an Sander Boss aus der ersten Staffel “Making the Cut”. Er hatte an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen Modedesign studiert und stammte aus Hasselt, eine Stadt, die ebenfall auf eine Geschichte der Bekleidungsindustrie zurückblicken kann, an die das Modemuseum erinnert.]

Und so spannt die Ausstellung DressUndress den Bogen von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, kreuz und quer über den Globus, und geht dem Spannungsverhältnis zwischen Verhüllen und Enthüllen in der Mode nach.

Enthüllen
rechts: Rudi Gernreich, Monokini (1964)
links: Rick Owens, Kollektion 2015/16

Den Auftakt macht ein transparentes Kleid von John Galliano, das er 1997 für Givenchy entworfen hat. Gallianos Entwürfe sind oft von historischen Kostümen inspiriert, hier vom Empire- bzw. Chemisenkleid. Bevor dieses um 1800 in Mode kam, löste es einen Skandal aus, und zwar als sich Marie Antoinette 1783 in einem weißen Musselin-Kleid von Elisabeth L. Vigée-Le Brun malen ließ (hier hatte ich schon einmal über das Bild La chemise de la reine geschrieben). Nicht nur, dass sich damit die Königin Frankreichs leicht bekleidet in der Öffentlichkeit zeigte – zumindest in den Augen ihrer Zeitgenossen – sie brachte durch ihre Stoffwahl auch die Seidenweber gegen sich auf. Der erste Raum der Ausstellung DressUndress widmet sich dem Untendrunter, das obendrüber getragen wird: Chemisenkleidern und Slip Dresses.

Dass dem Enthüllen des Körpers eine gewisse Sprenghaft innewohnt, zeigt schon das Wort Bikini. Louis Réard, der den knappen Zweiteiler erfand, benannte ihn nach einem Atoll im Pazifischen Ozean, das durch die Atombombenversuche der USA bekannt geworden ist. Auch wenn der 1964 von Rudi Gernreich auf den Markt gebrachte Monokini nicht gerade wie eine Bombe einschlug; er verschwand ein paar Jahre später schon wieder; sollen Trägerinnen dieser Bademode in den 60er Jahren verhaftet worden sein.

Lange Zeit dachte ich, unsere Generation kann diesbezüglich nichts mehr schocken. Für seine Männerkollektion 2015/16 schickte Rick Owens die Herren in Tuniken über den Laufsteg, die sie zeigten, wie sie von der Natur geschaffen wurden; die Tuniken hatten Cut Outs im Schritt und die Models trugen keine Unterhosen. Auch hier gab es einen Skandal, der dem Designer zeitweise den Spitznamen “Dick” Owens einbrachte. Dabei hatte er nur einem Teil der Gesellschaft den Spiegel vorgehalten, welchen Bewertungen ihres Körpers Frauen oftmals ausgesetzt sind.

Verhüllen

Für mich der Aha-Moment der Ausstellung. Verhüllte Körper(-Teile) sind dem Blick nicht einfach entzogen, im Gegenteil: Sie werden als Tabu ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und so zum Thema. So war Max Mara eines der ersten Labels, die ein Model mit Hijab akzeptierte – die somalisch-amerikanische Designerin Halima Aden. Zu modeln hat Aden inzwischen aufgehört mit der Begründung, dass die Modeszene hinter den Kulissen nicht so inklusiv sei, wie sie sich vornherum gibt.

Oft wird das 19. Jahrhundert als prüde beschrieben. Das stimmt nur zu Teilen. Die Damen (der Oberschicht) hatten zigmal am Tag das Outfit zu wechseln, bei all den Dresscodes zu verschiedenen Anlässen konnte man schnell danebengreifen mit der Folge, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Aber selbst bei hochgeschlossenen Kleidern wie dem „Visiting Dress“ werden weibliche Kurven unter den vielen Stofflagen eher in Szene gesetzt als verborgen.

Trompe l’oeil

1962 sang Marylin Monroe für J.F. Kennedy „Happy Birthday Mr. President”. Sie trug dabei ein hautfarbenes Slipdress. Diese Abteilung der Ausstellung widmet sich dem „Naked Dress“, Kleidern, die vorgeben, die Trägerin hätte kaum etwas an und Nacktheit vortäuschen. Meistens handelt es sich dabei um Abendkleider, entworfen für den roten Teppich.

Methamorphosen

Natürlich kann Bekleidung den Körper auch verformen. Vermutlich fällt den meisten hierzu als Erstes das Korsett ein. Diesem Aspekt widmet sich der letzte Teil der Ausstellung: angefangen von Konzertmitschnitten von Madonna in jener legendären Korsage mit konischen Brüsten, die J.P. Gaultier für sie entworfen hat, bis hin zu Catwalk-Mitschnitten der japanischen Designerin Rei Kawakuba, die die natürliche Silhouette nicht überzeichnet, sondern sich davon löst.

Mir ist dieser Teil der Ausstellung am wenigstens im Gedächtnis geblieben, vielleicht, weil hier weniger Kleidungsstücke als Videos gezeigt wurden. Mehr und mehr verschwamm die Grenze zwischen Bekleidung und Körper, erschien der Körper zuletzt in Interviews mit Transpersonen selbst als Kleid mit schlechter Passform, das verändert werden kann.

Fazit: Eine wirklich sehenswerte Ausstellung, die viel Inspiration und Stoff zum Nachdenken gibt!

[Leider ist die Ausstellung nur noch ein paar Tage. Der Post lag eine Weile im Entwurfsordner, mit fehlten Zeit und Muse, ihn zu beenden. Aber vielleicht für den einen oder anderen in NRW ist ein Besuch noch machbar. Hasselt ist bspw. von Köln, Düsseldorf oder Duisburg in knapp eineinhalb Stunden erreichbar.]

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6 Kommentare

  1. danke dir für die feinen bilder und den sehr schönen und informativen text!!
    <3
    gerade heut am frühstückstisch haben wir uns darüber unterhalten, dass bekleidung in den letzten paar jahren extrem verloren hat – nicht nur an materieller qualität, sondern auch an geistiger……
    wo sind all die couture- und pret a porter-entwürfe, die die leute aufregen, ganze jahrzehnte prägen und zu legenden werden? seit es "fashion week" heisst ist die ganze veranstaltung in ideeller hinsich bedeutungslos geworden, masse statt klasse, simpler kommerz ohne jeden kunstanspruch………
    karlchen hatte recht – wer jogginhosen trägt, hat die kontrolle über sein leben verloren. mittlerweile heissen die "joggpants" und jederman trägt die dinger überall & jederzeit und in jeder altersklasse/gesellschaftsschicht…… was für ein symbol.
    @dress/undress: kann das heute eigentlich noch jemand – dieses subtile spiel mit zeigen und verbergen? wenn ich im (provinziellen) strassenbild schaue, dann zeigen die meisten zuviel – zuviel haut, zuviel "figur", visible panty lines, lippenlesehosen, muffintops, bierwampen. zuviel information.
    viel zu wenig schönheit.
    <3 xxxxx

    • Gern geschehen.
      Dir lieben Dank für Deinen Kommentar.
      Spannende Gespräche, die Ihr da am Frühstückstisch führt…

      Da gibt es einen großen Unterschied zwischen Stadt & Land, glaube ich. Hier sehe ich tatsächlich alles auf der Straße, reicht das Spektrum von Wow! bis Oh je! Vielleicht, weil ich eine Freundin habe, die Perserin ist, wäre ich allerdings bereit, jede stilistische Geschmacklosigkeit sofort klaglos hinzunehmen, wenn man andernorts aufhören würde, Frauen zu Tode zu prügeln, weil sie vermeintlich das Falsche anhaben bzw. zu viel zeigen…
      Ich mag ja Street- und Sportswear! Mir fallen spontan mehrere Beispiele ein, wo sich Designer an der Straße orientiert und damit die Haute Couture entstaubt haben, wenn diese in Exzentrik zu erstarren drohte.
      Mein Blick auf die aktuelle Mode ist nicht ganz so düster, z. B. finde ich Iris van Herpen klasse und denke, dass sie mit ihrem Mix aus traditionellem Schneiderhandwerk und neuster Technologie, 3D-Druck, Bio-Mimikry u.ä. die Haute Couture des 21. Jh. macht; eine Pret-a-Porter Linie hat sie, glaube ich, gar nicht…
      Mode ist immer auch ein Spiegel der Zeit, da hast Du natürlich recht! Nur was die Jogginghose nun genau über uns aussagt, da bin ich mir nicht sicher. Werde mich jetzt in meine “Joggpants” werfen und beim Joggen weiter darüber nachdenken.
      Lieben Gruß Manuela

  2. Was für ein toller toller toller Bericht. Von Hasselt habe ich auch schon gehört, aber mich immer gefragt, wieso es in Belgien neben dem Momu noch ein Modemuseum gibt, insofern habe ich dem Museum in der Annahme, dass es uninteressanter ist, keine Bedeutung beigemessen und nie geschaut, was es gibt. Und wo Hasselt ist, muss ich gleich mal schauen. Danke für diese tolle Rubrik. LG Anja

    • Dankeschön!
      Ich freue mich ja immer besonders über Interesse an Posts aus dieser Rubrik.
      Das MoMu war mir leider noch nicht vergönnt, bei unserem Besuch in Antwerpen vor ein paar Jahren wurde es renoviert und im September hatte es leider auch zu. Aber ich bleibe dran, da ich die Antwerp Six sehr mag.
      Hasselt müsste für Dich sogar näher sein.
      Liebe Grüße Manuela

  3. Was du immer für interessante Ausstellungen findest.
    Regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.
    Merci für den Bericht.
    LG von Susanne

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