„Wer näht heute schon seine Kleidung selbst?“

Fragte die Dame, die uns durch die Ausstellung Modebilder – Kunstkleider. Fotografie, Malerei und Mode 1900 bis heute führte (bis zum 30. Mai noch in der Berlinischen Galerie).

Die Frage war wohl eher rhetorisch gemeint. Wir standen gerade in dem Raum, der sich Anna Muthesius und der Reformbewegung widmete. H. meinte hinterher, dass ihn das „Eigenkleid“ von Muthesius an das DIY der Nähbloggerinnen erinnerte. (Der Mann hat ein gutes Auge, das macht die Gattin stolz!) Hielt ich das anfangs lediglich für einen Aufhänger, sind mir beim Schreiben weitere – und wie ich finde – interessante Parallelen aufgefallen.

Anna Muthesius war Teil der Reformbewegung, welche die geltende Mode ablehnte, allen voran das Korsett, wenn auch aus verschiedenen Gründen: Die Medizinerinnen hatten gesundheitlichen Einwände, die Feministinnen forderten mehr Bewegungsfreiheit und Alltagstauglichkeit, die Künstlerinnen traten für eine zeitgemäße Silhouette und Ornamentik ein. Als ausgebildete Konzertsängerin behinderte das Korsett Anna Muthesius beim Atmen.

Mit dem Eigenkleid, beschrieben in dem gleichnamigen Buch (Das Eigenkleid der Frau, 1903), wollte Muthesius Frauen ermutigen, sich von Trends frei zu machen und eine Garderobe nach ihrem persönlichen Geschmack zu fertigen. Sie vertrat mit dem Eigenkleid anfangs weniger einen bestimmten Stil, sondern ihr ging es um Selbstermächtigung (heute würde man wohl Empowerment sagen), sprich: Frauen dazu zu inspirieren, ihre Kleidung selbst zu nähen – passend zum eigenen Körper und Bedürfnissen.

Muthesius war Autodidaktin, die während ihrer Zeit in England unter dem Einfluss der Arts & Crafts Bewegung zur Mode kam. Wie Arts & Crafts stand auch sie der Industrialisierung skeptisch gegenüber und suchte nach Alternativen zur Konfektion; diese war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer billiger geworden, was einerseits Bekleidung demokratisierte – mehr Menschen konnten sich neue Kleider leisten – andererseits aber auf Kosten der Qualität ging und den Konsum durch wechselnde Moden befeuerte.

Die Verbindung von Bekleidung und sozialer Bewegung, das Selbermachen, die Ablehnung der Modeindustrie, sei es wegen deren Körperideals oder Produktionsbedingungen, ließ mich ebenfalls an den MeMadeMittwoch denken, vor allem in seinen Anfängen. Gerade die Damen des ersten Teams wurden nicht müde zu betonen, dass Mode weit mehr als optischer Firlefanz und das Private politisch sei – teilweise gegen heftigen Widerstand. Ihre Ambitionen gingen soweit, sich 2013 für die re:publica zu bewerben.

Die nächsten vier Abbildungen: Modegrafik aus den 1920er bis 1950er Jahren

Noch etwas findet sich bereits bei Anna Muthesius: Sie ließ sich in ihren Kreationen fotografieren, präsentierte sich sowohl als Modell als auch als Gestalterin, und das zu einer Zeit, als die Fotografie noch nicht bevorzugtes Werbemedium der Mode war. Bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Modeillustration viel gebräuchlicher; sie war kostengünstiger und zeichnete sich durch stark idealisierte Frauentypen aus. Dagegen galt die Fotografie als authentischer. Heute kaum mehr vorstellbar! Muthesius bevorzugte die Fotografie, um ihre Kreationen an der „echten“ Frau zu zeigen. Das bot natürlich mehr Identifikationspotential als anonyme und idealisierte Zeichnungen und fand dementsprechend Nachahmerinnen.

Und auch, was die weitere Entwicklung betrifft, finden sich Parallelen zu heute. Anfangs erfüllten die Fotos von Muthesius und ihren Mitstreiterinnen eher einen dokumentarischen Zweck. Das Kleid war gut erkennbar, die Posen rührend unbeholfen und die Fotos ließen so etwas wie eine Bildkomposition vermissen. Im Laufe der Zeit wandelten sie sich zu stimmungsvollen Werbekampagnen, die zum Kauf von Stoffen, wenn nicht gar der Reformkleider selbst animierten. Tatsächlich gab Muthesius ihre ursprüngliche Idee auf und bot ihre Kleider ab Winter 1908/09 zum Verkauf an. Damit wurde das Eigenkleid zur Marke – bereits zuvor hatte sie das Stoffsortiment von Liberty für ihre Entwürfe empfohlen.

Ich könnte noch s-o-o-o viel über die Ausstellung schreiben. Das würde hier aber den Rahmen sprengen. Zum Abschluss noch ein paar Impressionen meiner persönlichen Highlights.

Die “Neue Frau” brauchte einen neuen Mann an ihrer Seite, besser gesagt die Männer versuchten irgendwie mitzuhalten. Das führte auch zu einer Modernisierung der Männermode in den 1920er Jahren.
Empfehlenswert auch die Schauen der Modeklassen von Vivienne Westwood, die an der UDK von 1993-2005 lehrte.

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15 Kommentare

  1. Ein toller Bericht, was für eine herrliche Ausstellung. Danke. LG Anja

    • Manuela

      Nun würde sich der Schlenker über Berlin beim Besuch Deiner Mutter wirklich lohnen, Du hättest zwei Ausstellungen…
      Danke & liebe Grüße
      Manuela

  2. Wie spannend! Damit kann ich mich sehr gut identifizieren, an Mode selbst bin ich ja irgendwie eher mäßig interessiert. Vielen Dank fürs Zeigen!
    Liebe Grüße
    Katharina

    • Manuela

      Gern, liebe Katherina. Freut mich sehr zu hören, dass ich Dich mitnehmen konnte. Liebe Grüße Manuela

  3. so deppen wie ich ;-D
    super post!
    und ja – das private ist politisch. was wir kaufen oder eben nicht bestimmt den markt und damit wer geld verdient. und der, der die kohle hat, hat die macht. ganz einfach.
    selbstermächtigung. ich habe angefangen zu nähen – das gestaltertalent war schon da – um der graublauen eintönigkeit einer in den letzten zügen liegenden DDR zu entkommen. mode war eskapismus, nur gab es den eben nicht oder kaum zu kaufen. also selbermachen. sogar die jungen männer nähten damals.
    danke für die bilder!
    xxxxx

    ps.: *die Männer versuchten irgendwie mitzuhalten* – hihi. gut analysiert!

    • Manuela

      Vielen Dank für die Blumen.
      Bedeppert finde ich es nun gar nicht, selbst entworfene Kleidung verkaufen zu wollen. Eher sehr mutig! Vermutlich hättest Du Dich eher mit Renate Green (alias Ré Soupault alias Meta Erna Niemeyer) in der Ausstellung identifiziert. Mit ihrem Label Ré-Sport bot sie “das gut sitzende, praktische, von der Modelaune unabhängige Kleid [an] aus besten Stoffen […] das alle Frauen ohne Unterschied des Standes tragen können, die Bankiersgattin und die kleine Verkäuferin…” Desillusioniert stellt sie 1934 ihr Label ein, weil sie jenseits ihrer intellektuellen und künstlerischen Umfeldes keine Kundinnen gewinnen konnte. Es war und ist eben alles andere als einfach, selbst wenn man eine gute Idee hat.
      Liebe Grüße Manuela

  4. Ist es nicht auch irgendwie traurig, dass wir Frauen nach 100 Jahren dieselbe Phase noch einmal durchmachen müssen? Oder schön, dass es diesmal mehr Frauen waren als nur Eine?

    • Manuela

      Gute Frage?! Ich würde sagen schön, weil es Zeit und Muße dafür braucht, sprich Bildung und Geld. Anna Muthesius war sehr privilegiert für ihre Zeit. Wenn es 100 Jahre später viel mehr Frauen sind, die diese Privilegien genießen, sind wir doch ein ganzes Stück weiter…
      Liebe Grüße Manuela
      P. S. Traurig finde ich eher, dass ich den Gedanken nicht loswerde, dass es fürs Erste wieder vorbei ist…

      • Oha! Das frage ich mich auch des Öfteren (warum wir das nach 100 Jahren nochmal durchleben). Mode ist immer irgendwie politisch, auch wenn frau das vielleicht gar nicht beabsichtigt… Beispiellos rückschrittlich fand ich z.B. die vielen Artikel in gleich mehreren sogenannten Frauenzeitschriften über all die Frauen ohne BH heutzutage. Teilweise mit so drohenden Überschriften wie “DAS passiert, wenn Du ohne BH aus dem Haus gehst!” Ich finde selbst Schneidern/Stricken zu können auch selbstermächtigend, auch wenn es gerade als altmodisch/unfeministisch gilt. Wo findet man z.B. eine Jeansjacke mit Teddyfell, das nicht aus Polyester ist? Warum denkst Du, dass es damit fürs Erste wieder vorbei ist? Liebe Grüße, Anne Sophie

        • Manuela

          Mit dem “unbeabsichtigten Politisch-sein” triffst Du es m. E. wunderbar auf den Punkt! Man mag sich vielleicht nicht für Politik interessieren, aber ist nicht das letztlich auch eine politische Haltung? Das Unpolitische scheint mir beinahe so unmöglich, wie nichts zu sagen, denn schließlich drückt auch Schweigen etwas aus…
          Fürs Erste vorbei… bezieht sich nur – um Missverständnissen vorzubeugen – auf das Nähbloggen im Sinne einer (Graswurzel-)Bewegung; es wird immer Leute geben, die für sich selbst schöne Dinge schneidern/stricken, wie es auch weiterhin interessante Blogs geben wird.
          Zum einen mache ich das für mich an der schwindenden Menge von Blogs und Möglichkeiten zur Teilhabe, z. B. in Form von Linkpartys fest. Dann hat sich aber auch der Tenor, finde ich, geändert: Anfangs haben sich Blogger*innen bspw. eher untereinander vernetzt, heute spricht man ganz klassisch von seinen Leser*innen; anfangs gab es ein eigenes Bezugssystem, dass sich nicht selten als Gegenentwurf zum Mainstream präsentierte, heute orientieren sich z. B. die Indie-Labels selbst an Trends… Auch wenn für mich Information und Inszenierung kein Entweder-Oder sind, sondern eher ein Kontinuum, spielt mir die Inszenierung inzwischen eine zu große Rolle. Die Leute stehen nicht mehr einfach in ihrem Wohnzimmer oder Vorgarten herum, sondern die Fotos sind z. T. kaum von professionellen Shootings zu unterscheiden und übernehmen leider auch die Unarten von Frauenzeitschriften.
          Heutige Posts und Kommentare lassen für mich diese gemeinschaftlich erlebte Aufbruchstimmung und Selbstermächtigung von vor zehn Jahren vermissen, die Damen wähnten sich damals kurz vor der Weltherrschaft und Schneidern/Stricken hat plötzlich ein progessives Images.
          Vielleicht erstmal so…
          Herzlichen Dank für Deinen Kommentar!
          Liebe Grüße Manuela

          • Oh, mir geht da gerade sooo viel durch den Kopf, aber ich glaube, das spreng hier den Rahmen. Vielleicht schreibe ich dazu mal einen eigenen Artikel. Aber nur noch kurz als Antwort: Ich glaube ich weiß, was Du mit “Inszeniert” meinst, auch wenn der Begriff für mich nicht negativ besetzt ist. Für mich liegt, ganz unerwartet, der Reiz des Blog-Gestaltens auch darin, zu versuchen, schöne und auch “professionelle” Fotos zu machen. Als ein weiteres kreatives Betätigungsfeld. Das finde ich nicht negativ an sich. Aber Du sprichst vermutlich in erster Linie davon, wenn plötzlich gekünstelte, etwas unechte Bilder gemacht werden, die alle einem bestimmten Schema entsprechen, der halt gerade “in” ist? Um mehr “LeserInnen” zu gewinnen, und nicht zu dem Selbstzweck, schöne Bilder zu machen?

            Ich schneider(t)e ja, weil es das, was ich wollte nicht gab (schön UND Bio oder zumindest Naturfasern, fair…). Jetzt schon, jetzt müsste ich nicht mehr alles nähen, da so viele Firmen das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen. Ich finde schon auch, dass es schade ist, wenn Blogs “trendy” werden, und Firmen den ursprünglichen Indie-Stil kommerzialisieren, aber ist es global gesehen nicht total super, dass “die Großen” jetzt das Thema aufgreifen? Es gibt für uns sowieso immer etwas neues
            zu tun… 🙂
            Bis bald mal und liebe Grüße, Anne Sophie

            PS: Ich kann momentan auf meinem Blog noch nicht auf Kommentare antworten, liegt am Blogsystem. Kommentare werden aber wertschätzend von mir gelesen 🙂

  5. Sabrina

    Mir hat die Ausstellung auch sehr gut gefallen. Allerdings waren wir spontan dort und hatten dementsprechend keine Führung. Da haben wir anscheinend doch noch das ein oder andere verpasst. Aber auch so war es ein schöner Ausflug.
    Danke für den tollen Bericht mit den ergänzenden Infos 🙂

    • Manuela

      Gern geschehen.
      Es hat beides etwas für sich: Ich gehe auch gern ohne Führung durch Ausstellungen, man hat hernach vielleicht nicht alles gesehen, aber eben seine eigenen Entdeckungen gemacht; der Zugang ist irgendwie persönlicher.
      Dank Dir & liebe Grüße
      Manuela

  6. Oh wie schön, mit dir wieder einmal virtuell eine Ausstellung zu besuchen und ganz viel Spannendes dabei zu erfahren! Im April bin ich (hoffentlich) endlich mal wieder in Berlin, vielleicht ist Zeit für mich, selber hinzugehen.
    Liebe Grüße
    Christiane

    • Manuela

      Ich drücke Dir die Daumen, dass Du die Zeit findest. Es lohnt sich wirklich!
      Klingt, als ob Du einen sehr engen Terminkalender in Berlin haben wirst, sonst hätte ich gesagt, melde Dich auf einen Kaffee.
      Liebe Grüße, bis spätestens Frankfurt
      Manuela

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