Małgorzata Mirga-Tas „Ich nähte für uns.“ (Gesehen, gelesen…)

Wenn mir die Arbeiten einer Künstlerin oder eines Künstlers gefallen, verfolge ich ihre bzw. seine Entwicklung gern. So auch bei Małgorzata Mirga-Tas, über die ich letztes Jahr anlässlich der Documenta bereits hier geschrieben habe. Noch bis zum 3. September ist unter dem Titel Sivdem Amenge. Ich nähte für uns. I sewed for us ihre Einzelausstellung im Brücke-Museum zu sehen. Es handelt sich nicht um eine Retrospektive, in der einzelne Werkphasen in chronologischer Ordnung gezeigt werden. Vielmehr setzt sich Mirga-Tas (die aktuell auch DAAD-Stipendiatin in Berlin ist) mit der Sammlung des Brücke-Museum kritisch auseinander, wobei ein Fokus auf der Z*** Mappe von Otto Mueller liegt.

Mirga-Tas, selbst Romni, bleibt damit ihrem identitätspolitischen Ansatz treu, antiziganistische Stereotype als solche kenntlich zu machen und den stigmatisieren Fremdbildern korrigierende Selbstbilder der Roma entgegenzusetzen. Das Bild der Roma in der Mehrheitsgesellschaft wird dabei seit Jahrhunderten von zwei Vorurteilen geprägt: Zum einen werden sie als arm und kriminell – als Bettler, Diebe und Betrüger – dargestellt, die sich nicht an die gesellschaftlichen Normen halten; zum anderen werden die Roma romantisch verklärt, erscheinen als geheimnisvolle und naturverbundene Nomaden, virtuose Musiker, die Freiheit und Lebensfreude verkörpern und über magische Kräfte verfügen. Nicht selten werden dabei besonders die Romnja – die Frauen sexualisiert, wie z. B. im Bild der exotisch-verführerischen Carmen.

Muellers Z*** Mappe (1925-27) gehört der zweiten Kategorie an. Auch wenn er als Expressionist von den Nationalsozialisten später selbst als „Entarteter Künstler“ diffamiert wurde, schreibt er darin die symbolische Gewalt gegen die Roma fort. Mueller erweist sich hierin als Kind seiner Zeit: Romantische Vorstellungen vom Leben der Roma erfreuten sich zunehmender Popularität; es wurde zum Sehnsuchtsort gegen die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung, gerade innerhalb der Bohème.

Wenn Mirga-Tas die Frauen aus ihrem Umfeld porträtiert, dann weder als Objekt der Begierde noch als (stillende) Mutter, vielmehr zeigt sie diese in ihrem Alltag, oft auch in Gemeinschaft, z.B. wenn sie gemeinsam nähen wie in Three Sisters. Das Bild verweist zugleich auf den kollektiven Herstellungsprozess von Mirga-Tas‘ Arbeiten, die mit Näherinnen aus ihrem privaten Umfeld zusammenarbeitet. Three Sisters hängt neben einem Wandteppich von Lise Gujer, die für ihre textilen Arbeiten nach Vorlagen von Ernst Ludwig Kirchner erst in den letzten Jahren Anerkennung erfährt. Lange galt die Arbeit mit Textilien als (Kunst-)Handwerk zweiter Klasse.

So stellt Mirga-Tas einer Auswahl expressionistischer Bilder aus der Sammlung des Brücke-Museums vergleichbare Szenerien gegenüber, nunmehr aus der Perspektive der Roma erzählt. Ein anderer Fokus liegt auf der Aufarbeitung der Ermordung von bis zu 500 000 europäischer Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten. Beispielhaft dafür das Porträt von Zilli Schmidt (aus der Serie Herstories) an der Außenwand des Brücke-Museums und ihr Kampf um die Anerkennung der Sinti und Roma als NS-Opfer. Und auch die RomaMoMa Library, eine „Bibliothek auf Reisen“, die die Ausstellung begleitet, widmet sich dem kulturellen Erbe der Roma und versammelt Bruchstücke einer bisher unerzählten Vergangenheit.

Nicht selten ist Aktivismus in ästhetischer Hinsicht sperrig; umgekehrt gibt sich Textilkunst oft harmlos und zeichnet eine Welt in Pastelltönen. Mirga-Tas’ textiler Aktivismus zeigt, dass es auch anders geht.

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6 Kommentare

  1. sehr interessant!!
    genau mein fall – komplexes thema, das sich mit klischees und vorurteilen befasst, die wir (unbewusst) alle haben…….
    über sinti und roma. über frauen. über kunst.
    sobald man anfängt, über die aussagen und werke dieser künstlerin nachzudenken, kriegt man es förmlich um die ohren gehauen – das weltbild, in dem “wir bildungsbürger” uns bequem eingerichtet haben.
    schade, dass es die meisten wohl gar nicht interessiert – oder ist es furcht vor der erkenntnis?
    die werke von Małgorzata Mirga-Tas sind übrigens wunderschön in ihren farben und den textilen dekors – aber es ist, mit hintergrundwissen, eine schönheit die schmerzt…….
    sehr beeindruckend.
    xxxxx

    • Manuela

      Meine Reihe “Gesehen, gelesen…” hat immer eher eine kleine, feine Leserschaft gehabt. Umso mehr weiß ich jeden einzelnen Kommentar zu schätzen.
      Freut mich wirklich zu lesen, dass ich Dich für Mirga-Tas begeistern konnte. Ich mag ihre Arbeiten sehr; finde übrigens auch, dass man bei ihr viel über Mustermixe lernen kann.
      Dankeschön & liebe Grüße
      Manuela

  2. Hallo, bin sehr froh, dass ich am letzten Ausstellungstag noch da war….
    sehr interressant und inspirierend.
    Carmen

  3. Liebe Manuela,
    Ich habe leider (mal wieder) Deinen Beitrag zu spät gesehen und deshalb keine Chance mehr gehabt, die Ausstellung zu sehen. Sehr schade, denn die Technik der Bilder finde ich äußerst interessant. Die Bilder, die Du zeigst, gefallen mir schon allein von der Ästhetik und den verwendeten Materialien. Und auch die politische Aussage, bzw. die Perspektive “von Innen” sollte man öfter zu Gesicht bekommen. Zu Lise Gujer fällt mir ein, dass die Unterscheidung zwischen “Künstler” und “Kunsthandwerker” ein echt deutsches Ding ist. Im Englischen gibt es den nicht. Interessant. Bezeichnend!
    Ich habe mir gleich mal diese kritische Auseinandersetzung mit der Z***-Mappe (musste den Begriff erst mal nachschlagen) angesehen.
    Als Kind habe ich das Buch “Mond, Mond, Mond” von Ursula Wölfel gelesen, das einen anderen Blick auf die Roma zeigt und sich mit den Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft auseinander setzt. Ansonsten kenne ich natürlich die Geschichte der zerlumpten Bettlerin, die abends mit einem dicken Mercedes von ihrem Mann abbeholt wird, deren Wahrheitsgehalt ich allerdings nicht aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Mehr weiß ich nicht über Roma, das möchte ich vorrausschicken.
    Zwei Dinge sind mir in der Auseinandersetzung aufgefallen, die ich hinterfragen möchte: Zum einen steht in den Fußnoten, dass sowohl über die Lebensweise der von Mueller gemalten Personen als auch über seine möglichen Kontakte zu ihnen nichts bekannt ist. Keiner weiß, ob er nur zum Fotografieren ( die Bilder sind nach Fotografien entstanden) “vorbei” kam, oder ob er mit den Menschen geredet hat und versucht hat, ihre Kultur kennen zu lernen. Also, wird geschlussfolgert, hat er sich für die “Fortsetzung tradierter Inszenierung” entschieden. Entschuldigung, aber stellen die beiden Damen da nicht gerade ihre eigenen Vorurteile als Tatsachen dar, genau das, was sie dem Künstler vorwerfen?
    Das zweite ist die Darstellung von mehr oder weniger nackten Frauen. Mueller ist für seine Akte bekannt. Aber wenn er Akte von Frauen der Mehrheitsgesellschaft malt, ist das O.K., und wenn es sich um Romnja handelt ist die Darstellung ein ” Akt rassischer und geschlechtlicher Überlegenheit und eine Form der Herrschaft”. Für mich ist das zweierlei Maß, wobei ich natürlich davon ausgehe, dass die abgebildeten Frauen freiwillig Modell gestanden haben.
    Ich finde die Auseinandersetzung mit Rassismus und eine kritische Hinterfragung von der Darstellung der Frau in der Kunst durchaus nicht verkehrt, aber diese Art der Formulierung schadet meiner Meinung nach der Debatte eher, als dass sie nützt.
    Kritisch anzumerken, dass der Künstler hier natürlich durch die ideologisch gefärbte Brille seiner Zeit gesehen hat, die heutzutage nicht mehr akzeptabel ist, ist eine Sache. Und das finde ich auch wichtig, damit der Betrachter heute sensibilisiert wird.
    Der Vorwurf, durch die Darstellung von Roma indirekt den Hetzkampagnen der Nazis gegen die Minderheiten den Boden bereitet zu haben, halte ich jedoch für überspitzt, um es mal freundlich zu formulieren.

    Danke mal wieder für einen interessanten Beitrag, der meinen Horizont erweitert hat.
    Liebe Grüße, Stefanie

    • Manuela

      Gern geschehen. Ich bin ein wenig gerührt, wie intensiv Du Dich mit der Ausstellung auseinandergesetzt hast!
      @Aktdarstellungen: Die Frage, wer sich von wem oder was ein Bild machen darf, ist in historischer Perspektive immer auch eine Machtfrage gewesen. Freiwilligkeit und Vertrautheit zwischen Maler und Modell ändert an dem gesellschaftlichen Ungleichgewicht erst einmal nichts. Es gibt ein schönes Plakat von den Guerilla Girls, dass das Machtverhältnis, welches sich in weiblichen Akten wiederspiegelt, wie ich finde, sehr anschaulich macht. Darauf ist eine Venus mit Gorillamaske zu sehen. “Do woman have to be naked to get into the Met. Museum? Less than 5% of the artists in the Modern Art sections are woman, but 85% of the nudes are female.” Viele Aktdarstellungen in Museen sind aus heutiger Sicht nicht mehr akzeptabel (das ist keinesfalls ein Aufruf zum Ikonoklasmus!). Oder umgekehrt gedacht, weibliche Akte haben interessanterweise oft dann einen Skandal produziert, wenn etwas darin die Idylle störte, wie z. B. in Manets Olympia. Ich würde da keinen Unterschied zwischen Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft und aus Minderheiten machen wollen.
      @symbolische & reale Gewalt. Auch ich sehe da einen Zusammenhang, wenn vielleicht auch keinen kausalen. Aber beide Gewaltformen tauchen leider oft zusammen auf, egal ob wir von Misogynie, Rassismus oder Antisemitismus reden.
      Das bestimmte Formulierungen solchen Debatten eher schaden als nützen, sehe ich genauso wie Du. Denn schließlich sind wir alle Kinder unserer Zeit, oder wie Brecht in seinem Gedicht “An die Nachgeborenen” schrieb: “Gedenkt unserer mit Nachsicht.”
      Vielleicht soweit, liebe Stefanie.
      Herzliche Grüße, Manuela

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