Kragengeometrie

Für Susanne.

Auf Wunsch einiger geschätzter Damen, möchte ich nochmals gesondert auf die Abwandlung des Kragens von Saraste eingehen und an den Schnittteilen veranschaulichen, was ich mit der Metapher von Peter Pan und Graf Dracula meinte.

Warum schreibe ich eigentlich selten solche Beiträge? Als ich vor ca. zehn Jahren zu nähen anfing, habe ich von dem Austausch auf den Blogs ungemein profitiert, ehrlich gesagt mehr, als von den Kursen, die ich besucht habe.

Handarbeit (das Wort klingt in meinen Ohren immer noch angestaubt) schien sich nicht mit einem feministischen Selbstverständnis zu vertragen, wenigstens zeitweise. Das Wissen, wie man Bekleidung herstellt oder repariert – zuvor von einer Generation zur nächsten weitergegeben – war nicht mehr allgemein verfügbar. Blogger*innen, gerade die nach Vintage- oder japanischen Schnittmustern nähten, haben meiner Meinung nach in den Nuller und Anfang der Zehner Jahre viel dazu beigetragen, diese (Wissens-)Lücke zwischen Großmutter und Enkelin zu schließen. Mittlerweile ist die Situation eine andere: Aus der angestaubten Handarbeit wurde lässiges DIY, auf Popularisierung folgte Kommerzialisierung…

Über das Für und Wider kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Fakt ist, das Wissen um Schnittkonstruktion und Nähtechniken ist aktuell nicht mehr nur Insidern und Professionellen vorbehalten. Vieles findet sich inzwischen gut erklärt und leicht verfügbar…

Aber zurück zum Kragendesign bei einem Hemdkragen mit Steg. Die Wirkung des Kragens und damit ganz wesentlich des Kleidungsstücks hängt ab von

  • der Form der Kragenspitze – etwas, dass Named Clothing in ihrem Buch Breaking The Pattern an mehreren Beispielen zeigen (in der deutschen Übersetzung Selbst genäht, S. 183)
  • der Breite und Krümmung des Stegs
  • der Breite und Krümmung des Kragens

Die letzten beiden Punkte sind diejenigen, die mich hier interessieren. Es gibt dabei ein paar elementare Zusammenhänge

  • Je gekrümmter der Steg ist, wobei er immer nach oben gebogen wird, desto enger sitzt der Kragen am Hals.
  • Je gekrümmter der Kragen ist, wobei er immer nach unten gebogen wird, desto flacher liegt der Kragen auf (bei Müller & Sohn der sogenannte Liegekragen).
  • Soll der Kragen offen getragen werden, gilt die geringere Hochstellung (Krümmung) des Kragens als Vorteil.

Sehr anschaulich stellt diesen Zusammenhang Harumi Maruyama in ihrem Buch Oberteil-Grundschnittvariationen dar. Dort (S. 66ff.) finden sich zahlreiche Beispiele, in denen Kragenkonstruktion und Nesselmodell direkt nebeneinander gezeigt werden. Dadurch bekommt man eine klare Vorstellung wie 1cm mehr oder weniger Krümmung den Look verändert.

Die beiden Bücher, auf die ich mich im Text beziehe…

Steg und Kragen werden zusammen konstruiert. Wie man das genau macht, dazu findet man in jedem guten Konstruktionsbuch eine Anleitung, weshalb ich hier darauf verzichte. Wenn man allerdings auf einen Fertigschnitt einen neuen Kragen konstruiert, wäre es wichtig, an die Nahtzugabe zu denken! Ausgangspunkt für die Konstruktion ist der Halsumfang aus Vorder- und Rückenteil, bei Saraste bspw. ist die Nahtzugabe im Schnitt bereits enthalten.

So ich hoffe, das trägt zum besseren Verständnis bei und hilft Euch bei Euren eigenen Variationen und Kreationen. Damit verabschiede ich mich ins Wochenende. Liebe Grüße, bis bald.

M.

← Vorheriger Beitrag

Nächster Beitrag →

15 Kommentare

  1. Das wird sicherlich ein Grundlagenpost, den nicht nur ich mir als Anleitung speichern werde.

    Ich dachte ich hätte in deinem letzten Betrag den Graf Dracula Peter Pan Vergleich verstanden, aber um ehrlich zu sein, hab ich es erst mit diesen Bildern wirklich. Vielleicht hätte ich die beiden Figuren einfach mal gogglen sollen, die Bilder hätten es auch klar gemacht. Aber nur mit einer vagen Vorstellung von den Kostümen kommt man halt nicht weit…

    Das Oberteil Grundlagen Buch will ich mir schon lange kaufen, ich geh gleich mal und schaue (mal wieder), ob ich es irgendwo gebraucht finde.

    Ein schönes Wochenende!

    • Harumi Maruyama finde ich wirklich empfehlenswert – alle drei Bände, obwohl der dritte Band (Kleid) m. E. eher die Sahne auf der Torte ist. Mit den ersten beiden, Rock und Oberteil, kommt man schon sehr weit… Achtung, die Bücher enthalten jeweils einen Grundschnitt, der nur lose einliegt! Der fehlte leider bei meinem gebrauchten Exemplar, weshalb ich es zurückgegeben habe.
      Dir auch. Liebe Grüße.

  2. setzen – eins!
    😀
    so gut und schlüssig hätte ich das nicht erklären können. liegt wohl auch daran, dass ich bisher einen einzigen kragen mit steg konstruiert & genäht hab – vor 30 jahren auf der modeschule als hemdbluse dran war…… öhm.
    wünsche dem fräulein dracula ein schönes wochenende <3
    xxxxx

    • Danke für die Blumen.
      Mmh, war vielleicht nicht die Zeit oder eine Frage, ob Damen- oder Herrenschneiderei? Bei Jansen/Rüdiger, Systemschnitt I gibt es die ausgefallensten Krägen, diese Konstruktion interessanterweise aber nur beim “Klassischen Herrenhemd”.
      Wünsche ich Dir auch. Liebe Grüße Manuela

  3. Deine anschauliche Erklärung ist super hilfreich; merci dafür.
    LG von Susanne

  4. Was für eine tolle Erklärung, über die Bezeichnung Dracula bin ich damals auch gestolpert, habe es dann aber mit den spitzen Zähnen, also spitzem Kragen, der spitz auf die Brust fällt, versteht man, was ich meine?, in Verbindung gebracht, das Kostüm hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Ich bin ja sowieso der Meinung, dass beim Sarastekleid mit dem Volant ein Konstruktionsfehler vorliegt, der aber nichts mit dem Steg zu tun hat, sondern mit der Gesamtbreite des Kragens, da sich bei flach aufliegendem Kragen die Volants überlappen, was nicht gewollt ist und auf den Fotos, siehe Buchcover, auch nicht so gezeigt ist. LG Anja

    • Dankeschön.
      Ja, ich verstehe, was Du meinst…
      Da hast Du absolut recht! Man kann den Kragen ja mit oder ohne die Rüschen nähen; damit sie sich nicht überlappen, müsste man das Kragenende (sprich an der vorderen Mitte) um 1 bis 1,5 cm kürzen. Die kleine notwendige Anpassung ist weder auf dem Schnitt markiert, noch wird sie in der Anleitung erwähnt.
      Liebe Grüße Manuela

  5. Liebe Manuela,
    mein Lieblingsbuch für Hemdkragen (und weitere Details):
    David Page Coffin, Hemd und Design.
    Im übrigen ist dein Blog für mich eine große Freude. Gibt es hier doch immer wieder spannendes zu lesen.
    Freundlicher Gruß
    Mechthild/Mema

  6. Was für ein Erkenntnisgewinn am späten Abend! Liebe Manuela, dass war ein wirklicher Kragen- Aha-Effekt für mich. Werde mir das abspeichern und bei der nächsten Hemdbluse (die für den Herbst schon geplant ist) unter die Lupe nehmen. Ganz sicher probiere ich den Unterschied mal in Ruhe für mich und nähe mal verschiedene Kragen – ich muss das immer selbst in die Finger bekommen und dann geht es auch in den Kopf. hab recht vielen Dank!
    Liebe Grüße von Ina

    • Liebe Ina, das geht mir ähnlich. Ich brauche auch die eigene Erfahrung, um Dinge wirklich zu verinnerlichen. Vielleicht zeigst Du ja Deine Experimente, würde mich freuen. Liebe Grüße Manuela

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert