Gesehen, GELESEN, gemacht… Fashionopolis

Früher habe ich gern, die Wochen- oder Monatsrückblicke gelesen, die es auf vielen Blogs gab, in erster Linie, wegen der persönlichen Buch-, Film- und Ausstellungstipps, die sie häufig enthielten. So gern, dass ich mich an einer abgespeckten Form davon versuchen will, sprich regelmäßiger über das zu schreiben, was ich zu Mode & Textilem gesehen oder gelesen habe und was mich gerade bewegt. Und zwar ohne es gleich Rezensionen nennen zu wollen. Denn die lese ich, ehrlich gesagt, auf Blogs nicht (gern). Oft sind die Texte derart weichgezeichnet, vielleicht um auch in Zukunft Rezensionsexemplare zu erhalten, dass sie sich so aufregend wie ein Poesiealbum lesen, wenn sie nicht nur mehr Rahmen um einen Affiliate Link sind. Und nun die Schelte an mich: Ich verdaddle im Internet zu viel Zeit – Zeit, die ich früher mit dem Lesen von Büchern verbracht habe. Ab und An gelingt es mir noch…

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So habe ich im Winter Dana Thomas neuestes Buch Unfair Fashion. Der hohe Preis der billigen Mode gelesen (engl. Original 2019 unter dem Titel Fashionopolis. The Price of Fast Fashion and the Future of Clothes).

Zum Modejournalismus ist Dana Thomas eher per Zufall gekommen. Anstatt über die Trendfarben der nächsten Saison oder die angesagte Rocklänge zu schreiben, wollte sie „seriösen“ Journalismus machen, sprich Beiträge über Politik und Wirtschaft verfassen. Und das merkt man ihren Büchern an. Sie sind verdammt gut recherchiert und ergehen sich nicht in Floskeln über Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Seit dem Einsturz des Rana Plaza Gebäudes (2013 in Sabhar/Bangladesh), bei dem mehr als tausend Arbeiter*innen starben, ist die weniger glamouröse Seite der Mode in den Blick gerückt.

Seitdem sind eine Reihe von Büchern und Filmen erschienen, die die katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen einer Mode kritisieren, die in immer kürzeren Abständen zu immer niedrigeren Preisen angeboten wird. Fashionopolis reiht sich in den öffentlichen Aufschrei ein, der mit Filmen begann wie The True Cost (2015, Trailer) oder Ausstellungen wie Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode (zuerst 2015 im MKG Hamburg). Übrigens ist bis zum 6. Juni in der Arte Mediathek noch der Dokumentarfilm Fast Fashion – die dunkle Welt der Billigmode zu sehen.

Gleichzeitig ist Fashionopolis mehr als die Kritik an der Billigmode, auch wenn es in vielen Interviews mit Dana Thomas, die sich im Netz dazu finden, so scheint. Was das Buch in meinem Augen besonders und lesenswert macht, ist die historische Perspektive, die Thomas ihrer Kritik hinzufügt – sowohl was die Vergangenheit als auch die Zukunft der Textilindustrie betrifft.

Nehmen wir einmal die gute alte Zeit. Wenn überhaupt, hat es sie nur für eine kurze Periode, Mitte des letzten Jahrhunderts gegeben. Seit der industriellen Revolution ist die Textilindustrie die meiste Zeit über ein schmutziges Geschäft gewesen, das seinen Profit durch die Ausbeutung vorzugsweise von Frauen und Kindern macht. Darauf deutet bereits der Titel des englischsprachigen Originals Fashionopolis hin – eine Anspielung auf Cottonopolis.

So wurde Manchester während der industriellen Revolution genannt, als die Stadt Zentrum der globalen Baumwollproduktion war; die Lebenserwartung der in den Fabriken tätigen Arbeiter*innen betrug damals durchschnittlich 17 Jahre (sic). Waren es nicht diese furchtbaren Lebensbedingungen, die Marx und Engels zu ihrem Kommunistischen Manifest veranlasst haben? Als Sohn eines Textilmagnaten verbrachte Engels einige Zeit in den Spinnereien von Manchester und war entsetzt über das, was er dort sah. Marx kritisierte, dass der florierende Industriezweig auf Sklaverei basierte; die Baumwolle, die in Manchester unter menschenunwürdigen Bedingungen versponnen wurde, kam aus den britischen Kolonien und wurde von Sklaven angebaut. In seinem Film Metropolis (1927) greift Fritz Lang die Marxsche Klassenteilung in Privilegierte und Ausgebeutete, die in völlig getrennten Welten leben, wieder auf. Irgendwie verdränge ich das ganz gern in meiner Liebe zu den „guten alten Dingen“.

Fashionopolis ist für Thomas diese Teilung in privilegierte Konsumenten und ausgebeutete Produzenten im globalen Maßstab; wir haben das Elend einfach ans andere Ende der Welt verbannt. Eine Entwicklung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann. Denn als die Textilindustrie ihre Produktion nach Amerika verlagerte, zogen auch die prekären Beschäftigungsverhältnisse mit. Wer sich für die Geschichte der Textilindustrie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart interessiert, dafür wie politische Entscheidungen wie etwa das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) in den 1990er Jahren die Entwicklung der Branche zur Fast Fashion begünstigten, oder z. B. mehr über die Global Player wie z. B. Inditex (Produzent von Zara) wissen will, findet in Fashionopolis eine Antwort darauf.

Ich hätte die Lektüre der 300 Seiten allerdings nur schwer ertragen, wenn Thomas nicht auch über die Gegenbewegung schreiben würde. So stellt sie Unternehmerinnen vor, die die Produktionsbedingungen von Bekleidung neu denken – analog zur Slow Food Bewegung, die seit den 1980er Jahren die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion infrage gestellt hat. Dass das Sternchen bei Unternehmerinnen hier fehlt, ist übrigens kein Tippfehler. Glaubt man Thomas steht Slow Fashion unter weiblichem Vorzeichen.

Und so habe ich viel gelernt: Über den Anbau von Biobaumwolle und das Färben mit natürlichem Indigo, über alternative Fasern wie etwa „Spinnenseide“, über verschiedene Recycling-Verfahren, wie die Trennung von Baumwolle und Polyester in Mischgeweben, über die alternative Gewinnung von Zellulose (für Viskose), über Bekleidung aus dem 3-D-Drucker, über Rightshoring (die Rückverlagerung der Produktion) und Hyperlokalität, über Kreislaufwirtschaft… und, und, und.

Gerade die Kapitel über die technologischen Entwicklungen haben mir beim Lesen viel Spaß gemacht; sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir unser Konsumverhalten ändern müssen! So trägt das letzte Kapitel von Fashionopolis bezeichnenderweise auch den Titel „Kaufen oder nicht kaufen?“ Die Antwort könnt Ihr Euch sicherlich denken.

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10 Kommentare

  1. ich komme ja aus der bekleidungs/textilindustrie……..
    und bin froh, nie für eine firma gearbeitet zu haben, die in 3.weltländern produziert.
    leider ist die mehrzahl der konsumentinnen nicht bereit, den preis für eine menschenwürdig/umweltgerecht hergestellte mode zu bezahlen. da wird dann lieber greenwashing mit “grüner” billigmode vom discounter/kaffeeladen betrieben oder hasi&mausi macht ´ne hübsche fairness-kampagne.

    ich mag ja auch “die alte zeit” – aber gut war die oft genausowenig wie die heutige – 1911: https://de.wikipedia.org/wiki/Brand_der_Triangle_Shirtwaist_Factory

    @produzentinnen ohne sternchen: mein mann sagt immer, dass frauen die besseren unternehmer, chefs, politiker etc. sind 😀

    danke für diesen post! xxxx

    ps: bei den “rezensionen” gehts mir genauso – oft kann man sogar sehen, dass einfach nur copy&paste von der verlagsseite gemacht wurde – mal keine rechtschreib&grammatikfehler, aber dafür richtige sätze ;-P

    • Manuela

      Der Bahnwärter scheint nicht nur sehr charmant (Stichwort: Blumen ohne Anlass), sondern auch sehr klug zu sein…
      Ich kann Deinen Frust gut nachvollziehen! Greenwashing, wie auch Schleichwerbung sind schon perfide, weil sie vorgeben etwas zu sein, was sie einfach nicht sind… sei es, dass eine Sonderkollektion bspw. darüber hinwegtäuschen soll, dass man zu den Hauptverursachern von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zählt oder kommerzielle Werbung sich als persönliche Empfehlung oder journalistische Rezension tarnt… ok, im Vergleich zu Erstem ist Zweites sicherlich nur ein marginales Problem.
      Dank Dir für den Link zum Brand in der Triangle Shirtwaist Factory. Im Buch wird er nur kurz erwähnt, weil im Anschluss daran eine Reihe von Arbeits-, Sicherheits- und Gesundheitsgesetzen in den USA erlassen wurden, z. B. das Verbot von Kinderarbeit.
      Je nach persönlicher Tagesform glaube ich mehr oder weniger daran, dass sich die Konsument*innen ändern werden! Und manches würde ich gar nicht deren Einsicht überlassen, da ist meiner Meinung nach wie in der Vergangenheit auch der Gesetzgeber gefragt.
      Nochmals herzlichen Dank & liebe Grüße
      Manuela

  2. Oh, vor einigen Jahren habe ich mit drei Freundinnen den Film “The True Cost” angeschaut. Bewusst haben wir den Film zu mehreren angeschaut, denn das Thema möchte man nicht alleine verarbeiten. Manche Bilder kriege ich bis heute nicht aus meinem Kopf.
    Mein Vater hat früher in der Textilindustrie gearbeitet. Er hat uns schon ganz früh viel erzählt, vor allem, dass viele Fabrikationstechniken aus Deutschland verlagert wurden, weil sie unseren Umweltstandards nicht entsprechen. Das Thema wurde aber nur in die Länder verschoben, in denen keine dieser Standards gelten.
    Filme und Bücher, die Missstände aufzeigen, gibt es ja mittlerweile zu jedem Thema, sei es Lebensmittelproduktion, Herstellung elektronischer Geräte, Handyproduktion, etc.
    Umso ermutigender, dass das Buch auch positive Schritte, Wege und Tendenzen aufzeigt.
    Ich arbeite weiter daran meinen Stoffvorrat abzubauen und vorläufig nichts Neues mehr zu kaufen. Es hilft nichts.
    Viele Grüße!

    • Manuela

      Mir ging es in der Ausstellung “Fast Fashion” in Hamburg so, am Ende bin ich da nur noch durchgetaumelt…
      Ja, es wirkt wie ein perverses Katz-Maus-Spiel, das in Manchester begann: Irgendwo werden katastrophale Arbeitsbedingungen und Umweltbilanzen aufgedeckt; unter dem Druck der Öffentlichkeit wird die Situation vor Ort verbessert, worauf die Produktion woanders hin verlagert wird, wo diese Standards nicht gelten… Bei Gelegenheit würde ich gern mehr erfahren, wo Dein Papa gearbeitet hat… (Ich habe ja auch noch Deine Bücher!)
      Eigentlich nimmt Slow Fashion einen ziemlichen großen Teil des Buches ein, angefangen mit Natalie Chanin. Mit Alabama Chanin hat sie wirklich eine Renaissance in ihrer Heimatstadt Florence (Alabama) bewirkt. Ich erwähne sie deshalb, weil es hier vielleicht die größte Schnittmenge zwischen Makern und Fashionistas gibt…
      Dank Dir Birgit. Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende.

  3. Sabrina

    Ein sehr interessanter Buch “Bericht” 😉 Wird auf die Leseliste gesetzt.

    Danke

  4. Hört sich sehr interessant an; Aufklärung ist immer der erste Schritt, um Dinge zu ändern; wobei ich angesichts von TV-Sendungen, wie Shopping-Queen, die Fast-Fashion befeuern und unzähligen Leuten, die Shoppen als ihr Hobby bezeichnen fürchte, dass es noch ein langer Weg ist, bis die Leute bereit sind, ihr Konsumverhalten zu ändern.
    LG von Susanne

    • Manuela

      Ja leider bezeichnend, dass es von Shopping-Queen X Staffeln gibt, während Serien wie “Geschickt eingefädelt” oder “Masterclass” nach der ersten oder zweiten Staffel abgesetzt wurden, mal abgesehen davon, dass die englischsprachigen Originale um Klassen besser sind.
      Ich fürchte nur, irgendwann werden wir keine andere Wahl haben, weil wir uns sonst unsere Lebensgrundlage entziehen… Aber Dir brauche ich das ja nicht zu erzählen.
      Herzlichen Dank & liebe Grüße
      Manuela

  5. Hallo Manuela!
    Wie spannend! Das Buch klingt wirklich lesenswert, danke für den Bericht. Mir fällt auf dass in den Kommentaren hier manche den Verbrauchern die Schuld geben. Das finde ich nicht fair und man kann von niemandem erwarten bei allem was er konsumiert erst zu recherchieren ob die Herstellungsbedingen okay waren. Dan hätte wohl auch niemand von uns ein Handy oder Laptop. Wichtig ist dass man bewusst wählen geht. Schön dass du die Diskussion gestartet hast.
    Liebe Grüße
    Katharina

    • Manuela

      Liebe Katharina, gern. Danke, dass Du Dich an der Diskussion beteiligst!
      Den Verbrauchern die Schuld zuzuweisen, wäre wirklich nicht fair. Schuld, ist zunächst einmal derjenige, der geltendes Recht bricht oder umgeht. Und eine Kreditkarte ersetzt nicht die Politik, da wird heute ganz schön viel Verantwortung ins Private abgeschoben. Das sehe ich ähnlich wie Du! Aber ich hatte es auch nicht ganz so verstanden: Die Produzentinnen von neuen Fasern, natürlichem Indigo, Bekleidung usw., die Thomas in ihrem Buch porträtiert, erzählen auch, dass sie sich nicht selten mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass ihre Produkte zu teuer seien…. Das stelle ich mir schon frustierend vor, wenn man sich selbst um eine gerechtere Produktion bemüht und greenwashende Unternehmen die Gewinne einstreichen. Den anderen Punkt, den Du vielleicht meinst, ist die Kritik an Praktiken, die den Konsum befeuern. Mit unserer heutigen Konsumkultur tue ich mich tatsächlich schwer.
      Oje meine Antwort ist ganz schön lang geworden…
      Nochmals herzlichen Dank. Liebe Grüße Manuela

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