Ich weiß nicht, was ich erwartet habe… eine Führung, die Grundlagen der Schnittkonstruktion an Modellen von Uli Richter erklärt; einen Workshop, in dem man sich ein Modell von Richter aussuchen und an die eigenen Maße anpassen kann (mein Wunschkandidat wäre übrigens Kleid Marcelle gewesen); einen Vortrag über verschiedene Systeme/Methoden der Schnittentwicklung… Denn was kann man in zwei Stunden schon ausprobieren? Was würdet Ihr erwarten, wenn Ihr folgende Ankündigung lest?
Wie erkennt man einen guten Schnitt? Wie wird ein Schnitt individuell angepasst? Anhand eines Designerschnitts von Uli Richter werden die Grundlagen der Schnittkonstruktion vermittelt: Schnitt abpausen, Maßnehmen, Anpassen des Schnitts an die eigenen Körpermaße, den Schnitt auf den Stoff übertragen und ausschneiden.
Ich spreche von dem Workshop „Schnittkonstruktion“ (18.02.), der im Rahmen der Ausstellung Uli Richter Revisited – Modedenker, Lehrer, Inspiration stattfand, die noch bis zum 5. März 2017 im Kunstgewerbemuseum in Berlin zu sehen ist.
Für eine Besichtigung der Richter-Retrospektive war in den zwei Stunden natürlich keine Zeit. Ich hatte sie mir als Vorbereitung für den Workshop angesehen. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Irgendwie versprüht die Ausstellung für mich den Charme der Mottenkiste – trotz schöner Momente wie z. B. die Entwürfe junger Designer/innen, die sich mit Richter auseinandersetzen. Aber die Exponate wirken lieblos ins Treppenhaus und ins unterste Geschoss gezwängt. Liegt es an den schwierigen Räumlichkeiten?
Auch nach dem Umbau des seit jeher umstrittenen Baus von Rolf Gutbrod fühle ich mich von den Betonmassen des Kunstgewerbemuseums erdrückt. Die Bezeichnung Brutalismus-Architektur könnte hier nicht treffender gewählt sein. Mit meiner ersten Assoziation der Mottenkiste lag ich insofern nicht falsch, als ich bei Nahtzugabe dann las, dass es sich in großen Teilen um ein Remake einer älteren Retrospektive handelt; der Titel lautet schließlich auch Uli Richter REVISITED. Wer mehr über die Ausstellung erfahren möchte, dem sei Lucys Rezension empfohlen.
Die Veranstaltung entpuppte sich als Workshop, in dem man sich einen Grundschnitt für einen Rock erstellen konnte, um im Anschluss daran einen Modellschnitt nach den eigenen Vorstellungen zu entwickeln. Ein ambitioniertes Unterfangen mit 18 Teilnehmerinnen in zwei Stunden! Egal wie sehr sich die Workshopleiterin (Dipl. MD Ina Wielenski) auch bemühte, es war gar nicht zu leisten, auf alle individuellen Fragen und Wünsche einzugehen.
Klasse finde ich, dass das Kunstgewerbemuseum andere Vermittlungskonzepte anbietet als die klassische Führung, die einen historischen Überblick gibt… Schade nur, wenn es dabei auf halben Weg stehen bleibt: wenn die Ankündigung etwas anderes verspricht (einige Teilnehmerinnen schienen ziemlich enttäuscht) oder das Material nicht ausreicht (sprich, sich 18 Leute zwei Radiergummis teilten). Bei der großen Nachfrage, auf die der Workshop gestoßen ist, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Aufmerksamkeitsspanne und Zahlungsbereitschaft der Besucher/innen gößer sind als von Museum angenommen.
Was bleibt also von diesem Nachmittag? Ein Grundschnitt für einen Rock, den ich mal aus Nessel nähen müsste, um die Passform zu prüfen; ich habe in der Öffentlichkeit natürlich nicht in Unterwäsche Maß genommen. Auch ich bin etwas enttäuscht: Auf die Frage, wie man einen guten Schnitt erkennt, hätte ich mir schon eine genauere Antwort versprochen, als dass ich einen guten Schnitt daran erkenne, dass er gut passt (Was überhaupt ist eine gute Passform? Gibt es typische Konstruktionsfehler, und wie erkenne ich sie? usw.)
Bei aller Kritik bleibt dennoch vor allem das Gefühl, einen Einblick in einen faszinierende Welt bekommen zu haben, der ich bisher wenig Beachtung geschenkt habe.
So entdecke ich seit Samstag in der virtuellen Nähcommunity plötzlich lauter Schnittkonstrukteurinnen: Muriels (Nahtzugabe 5 cm) Podcast Nr. 14 zum Thema Grundschnitt mit Immi Mayer und Mema, deren gemeinsame Aktion Unabhängiger werden von Schnittmustern; Siebenhundersachens und Drehumdiebolzeningeneurs Experiment mit dem 1940’s Tea Dress, die eine kommt durch Anpassen des gekauften Schnittes, die andere durch Nachkonstruieren zum Ziel; gerade kündigte MamamachtSachen ein monatliches Schnitt-Fest an, das zukünftig eine eigene Plattform für Schnittkonstruktion bieten soll. Obendrein habe ich einige für mich neue Blogs entdeckt…
Mal schauen, ob ich irgendwann auch an den Punkt komme, an dem ich selbst konstruierte Schnitte gekauften vorziehe? Jetzt nähe ich erst einmal meine Morgan Jeans von Closet Case Pattern zu Ende. Da weiß ich nämlich, was mich erwartet.
Lucy
Ich freue mich gerade sehr, dass ich Dank deines Kommentars dein Blog entdeckt habe! Als ich die Ankündigung für den Workshop las, fragte ich mich auch, wie das alles in zwei Stunden passen soll. Schade, dass die Idee zwar so gut, die Umstände und die Umsetzung aber nicht so gelungen waren.
Manuela
Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich besonders darüber, weil Du ja die dazugehörige Ausstellung besprochen hast. Da habe ich überhaupt erst realisiert, vor welchem Plakat Du Deine Sachen oft zeigst. Was den Workshop betrifft, hoffe ich mal, dass es die ersten Gehversuche hin zu anderen Vermittlungskonzepten in den Berliner Museen waren. Da geht nämlich wesentlich mehr. LG, Manuela
Anja
Tatsächlich habe ich auch Mal so einen Workshop bei der VHS gemacht. Es gab eine Vorbesprechung einschließlich Mitbringliste und dann dauerte das Thema Rock einen ganzen Tag mit ca. 8 Teilnehmerinnen, genug Zeit für Fragen. 2 Stunden ist echt nix. LG Anja