Christian Tagliavini. Ausstellungstipp

Fotos von Frauen und Mädchen in Gewändern, die aus der Renaissance zu stammen scheinen, wären da nicht die futuristisch-fantastisch anmutenden Kopfbedeckungen. Modells, die in Posen von Gemälden inszeniert werden, im strengen Profil oder wie Büsten in Dreiviertelansicht … Kein Hinweis auf den Ort der Aufnahme, die Hintergründe sind monochrom Zinnober, Aquamarin oder in Erdtönen. Streulicht. Die Fotos bestechen durch eine auffällige Liebe zum Detail, wenn nicht gar eine Detailversessenheit aus ihnen spricht. Damast, Brokat, Samt, Pelz – man meint die Textur der kostbaren Kleider greifen zu können … Die Größe der Fotos (160 x 128 cm oder 85 x 68 cm) tut ihr Übriges, um einen Eindruck von altmeisterlicher Malerei zu erzeugen.

Last Minute. Nur noch bis Samstag (17.03.) läuft die Ausstellung 1406 von Christian Tagliavini in der Galerie Camera Work in Berlin. Die Ausstellung zeigt nicht nur erstmals Tagliavinis Serie 1406, benannt nach dem Geburtsjahr des italienischen Malers Filippo Lippi (1406-1469), sondern es sind auch ältere Fotoarbeiten aus den Serien 1503, Carte und Voyages Extraordinaires samt einiger Requisiten zu sehen.

Was die Ausstellung von Tagliavini in diesem Kontext erwähnenswert macht, sind weniger die historischen Referenzen auf die Malerei der Renaissance, sondern der Entstehungsprozess der Bilder. Es sind keine Schnappschüsse, sondern die Fotos sind das Ergebnis sorgfältiger Inszenierungen. In gewisser Weise sind es Gesamtkunstwerke, in denen sich Tagliavinis Neigung zum Textilen manifestiert.

Bis Tagliavini den Auslöser drückt, kann es mehrere Monate dauern. Er, der sich selbst als „fotografischen Handwerker“ bezeichnet, interessiert sich mehr für die Arbeiten im Vorfeld: angefangen von den ersten Entwurfszeichnungen; der Suche nach passenden Modells, inzwischen hauptsächlich über Facebook; der Recherche historischer Farben und Materialien; dem Design der Kleider bis hin zu den Accessoires, die er mithilfe seiner Assistenten oder einem 3-D-Drucker herstellt. Die Kleider lässt Tagliavini von professionellen Schneidern nähen – für die Serie 1406 wurden sie, soweit möglich, aus toskanischen Originalstoffen nach Entwürfen von ihm gefertigt.

Ich hätte mir noch mehr Informationen zum Herstellungsprozess gewünscht, vor allem was die Kleider betrifft. Das ist natürlich zu viel erwartet, es handelt sich schließlich um eine Galerie- und nicht um eine Museumspräsentation. Immerhin bekommt man in einem Video einen Eindruck von den Vorarbeiten, die jedem Foto vorausgehen.

Auch wenn die Renaissance Tagliavinis Bezugspunkt ist – wie schon in der Serie 1503, mit der er seinen Durchbruch erzielte – kopieren die Aufnahmen keine realen Gemälde. Vielmehr sind es Collagen, die Anachronistisches miteinander vereinen – zumindest auf den ersten Blick. Zwar ist nicht das viktorianische Zeitalter Tagliavinis Sehnsuchtsort, sondern die Renaissance, dennoch musste ich angesichts seiner Fotoarbeiten an Steampunk denken. Vielleicht weil hier Hightech auf Nostalgie trifft oder wegen der Do-It-Yourself Attitüde, die Tagliavinis Arbeiten zugrunde liegt. Und tatsächlich ist die Serie Voyages Extraordinaires im letzten Raum eine Hommage auf Jules Verne, der für Steampunk Pate stand.

Ach, wie schön kann doch eine Zeit sein, die es so nie gegeben hat.

 

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5 Kommentare

  1. Das liest und sieht sich echt cool und interessant. Was ne gute Idee! Nur nach Berlin komme ich so schnell nicht, deshalb danke fürs digitale Mitnehmen 😉
    Liebe Grüße
    Katharina

    • Manuela

      Ist zugegebenermaßen etwas knapp, aber erst habe ich überlegt, ob ich hier auf dem Blog überhaupt darüber schreiben soll und dann kam das analoge Leben dazwischen … Dank Dir Katharina!
      Liebe Grüße, Manuela

  2. Wow, toll. Klingt extrem interessant. Den Namen merke ich mir. Danke. LG Anja

  3. Danke für den Kommentar bei mir, so habe ich dich und deine Ausstellungsberichte nun auch gefunden.
    Diese Fotos hätten mich auch interessiert, gerade wegen der textilen Vorarbeit, aber nun habe ich es verpasst. Umso besser, dass du darüber gebloggt hast!

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